An die katholische Gemeinde St. Maria in Delitzsch

Liebe Kinder und Jugendliche, sehr geehrte Damen und Herren,

Als Kind und Jugendlicher wurde ich durch den ehemaligen Vikar der Gemeinde Alfons Kamphusmann und einen weiteren Kirchenangestellten jahrelang sexuell missbraucht – mit schrecklichen Folgen für mich und mein Leben.

Als ich es 1993 endlich wagte, meine 35 jährige Schweigemauer im Familienkreis und im Beisein der beiden Täter zu zerbrechen, wurde ich von meinen Geschwistern als „Nestbeschmutzer“ ausgegrenzt.

In meiner Not habe ich mich an Pfarrer Armin Kensbock in Delitzsch gewandt und ihn um Hilfe und Unterstützung gebeten. Obwohl der sexuelle Missbrauch vor seiner Zeit stattgefunden hatte, wendete ich mich dennoch vertrauensvoll an ihn, da ich in ihm einen offiziellen Vertreter der katholischen Kirche sah, um die Verbrechen von Pfarrer Kamphusmann und des Kirchenangestellten anzuzeigen. In einem längeren Gespräch erzählte ich ihm meine ganze Geschichte. Ich bat ihm um Hilfe, mich bei der Aufarbeitung dieser Verbrechen zu unterstützen. Ohne jegliche Stellungnahme hörte er nur schweigend zu und sagte, dass er darüber nachdenken muss und sich bei mir melden wird.

Ende April 1994, also 4 Monate nach dem ich ihn um Hilfe gebeten hatte, teilte er mir schriftlich mit: „Ich kann und will Sie dabei nicht unterstützen, da ich es nicht verantworten kann, schlimmstenfalls müsste ich die Folgen mit erleiden und mit ertragen.“
Danach war wie ich wie gelähmt und fühlte mich ohnmächtig.

Durch diese unterlassene Hilfeleistung haben die traumatischen Erlebnisse des sexuellen Missbrauchs verstärkt mein Leben beeinflusst. Erst einige Jahre später war ich dazu in der Lage, mich deshalb an den Bischof von Magdeburg und an den Papst zu wenden, um dieses Vorgehen aufzuklären. Leider musste ich feststellen, dass sich an der institutionellen Geheimhaltungs- und Schweigepraxis von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche, mit den verheerenden Folgen für die Opfer, nach wie vor nichts geändert hatte. Die von mir angezeigten sexuellen Verbrechen bei Pfarrer Kensbock, wurden verschwiegen, verleugnet und vertuscht.

Warum arbeitet die Kirchenführung die Vergangenheit nicht auf und versetzt stattdessen Pfarrer Kensbock nach Köthen? Damit wird wieder nur alles verschwiegen und unter den Teppich gekehrt!

Schließlich liegt von beiden Tätern ein schriftliches Tateingeständnis vom Bistum Limburg vor, es geht also nicht mehr darum, ob die Verbrechen stattgefunden haben, oder ob ich wirklich dadurch Schaden genommen habe, denn dass konnte ich durch Gutachten nachweisen.

Als Opfer fühle ich mich sehr verletzt, wenn Mitglieder ihrer Gemeinde öffentlich sagen: “Ich möchte mich nicht äußern dazu. Weil mich das gar nichts angeht. Das Thema wollen wir nicht berühren. Ja den Quatsch, den können sie sich an den Hut stecken.”

Diesen „Quatsch“ habe ich 35 Jahre lang versucht mir an den Hut zu stecken. Es hat nicht funktioniert, mein Körper reagierte mit Krankheiten.
Ich bitte Sie um eine öffentliche Stellungnahme zu den Äußerungen Ihrer Gemeindemitglieder, sowie um eine Aufarbeitung der traumatischen Erlebnisse – geben Sie den Opfern eine Möglichkeit ihre schreckliche Vergangenheit aufzuarbeiten.

Schaffen Sie eine vertrauensvolle Basis und nehmen Sie eindeutig Stellung zu diesen Verbrechen, damit die Opfer keine Angst mehr vor Repressalien haben müssen, wenn sie ihr Schweigen brechen.

Opfer von beiden Tätern erzählten mir, dass sie ihren Namen nicht öffentlich nennen könnten, weil sie dadurch berufliche Nachteile befürchten. Andere wiederum vermuten, von der Kirchengemeinde ausgegrenzt zu werden, wenn sie ihr Schweigen brechen.

Übernehmen Sie Verantwortung und verändern Sie etwas an diesen Zustand, sorgen Sie dafür, dass die Opfer „ungestraft“ über ihre schrecklichen Erlebnisse frei reden können.

Es kann doch nicht weiter einfach so getan werden, als habe es die Verbrechen von Kamphusmann und dem Kirchenangestellten in dieser Gemeinde nie gegeben.

Noch einmal: Kamphusmann und der Kirchenangestellte haben die Verbrechen gestanden, und das wurde schriftlich festgehalten. Ihre Opfer leben weiter hier und in dieser Kirchengemeinde und sind durch solche Äußerungen, wie sie öffentlich und vor Fernsehkameras gemacht wurden, tief verletzt, ganz abgesehen davon, dass solche Kälte und Gefühllosigkeit ein schreckliches Licht auf die ganze Gemeinde wirft, das weiß ich von Menschen, die die Sendung im MDR gesehen haben und zutiefst schockiert waren.

Um aus der bestehenden Sprachlosigkeit herauszufinden, schlage ich folgendes vor:

  1. Unter hinzuziehen eines unabhängigen, beiderseits akzeptierten Konflikthelfer (Ombudsmann), in einer öffentlichen Veranstaltung gemeinsam mit den Opfern und Gemeindevertretern, einen Weg zur Aufarbeitung festlegen.
  2. Die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz in die Tat umsetzen, dort heißt es nach V, 10: „Im Umfeld von Täter und Opfer werden Maßnahmen zur Überwindung von Irritationen, Sprachlosigkeit und Trauer getroffen. Im Einzelfall wird, wenn nötig, ein Netzwerk angeboten, dass einer Isolation des Opfers und seiner Familie entgegenwirkt.“
  3. Von den Verantwortlichen des Bistums Magdeburg ein klares Bekenntnis und Übernahme von Verantwortung einfordern – da sich der fortgesetzte sexuelle Missbrauch durch Angehörige des damaligen erzbischöflichen Kommissariats Magdeburg letztendlich nur deshalb ereignen konnte, weil die Verantwortlichen nicht frühzeitig wirksam eingeschritten sind, sondern durch die damals übliche Strafversetzungs-, Geheimhaltungs- und Schweigepraxis die Täter gedeckt und damit weiteren Missbrauch ermöglicht haben.

Freundliche Grüße

Norbert Denef

Der Kirchenvorstand hat dieses Schreiben am 26. Juni 2006 nur „zur Kenntnis genommen“. Mit mir gesprochen hat er kein einziges Mal.

Schweigen ist der Tod – bitte reden Sie mit mir!