Bundesverfassungsgericht Pressemitteilung Nr. 56/98 vom 27.05.1998

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Verbot, im Zusammenhang mit Missbrauchsvorwurf gegen den Vater den eigenen Namen zu nennen

Der Erste Senat hat in einem Verfassungsbeschwerde-Verfahren ein Unterlassungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache an das Gericht des Ausgangsverfahrens zurückverwiesen. Der Beschwerdeführerin war darin u.a. untersagt worden, im Zusammenhang mit der Äußerung, sie sei von ihrem Vater sexuell mißbraucht worden, ihren eigenen Namen zu nennen.


I.


Eine heute 41jährige Frau, die nach wie vor ihren „Allerwelts“Geburtsnamen führt, war nach eigenen Angaben von ihrem Vater vom Kindesalter an über viele Jahre sexuell mißbraucht worden. Dies offenbarte sie 1973 erstmals im Freundeskreis, später u.a. auch einem Vorgesetzten, mehreren Ärzten und dem Jugendamt. In den 90er Jahren berichtete sie in zwei Fernsehsendungen über den Mißbrauch, u.a. in der Sendung „Schreinemakers live“.

Eine Unterlassungsklage des die Vorwürfe bestreitenden Vaters wies das Landgericht (LG) mit der Begründung ab, der Unterlassungsanspruch bestünde nur, wenn die Behauptung unwahr wäre. Nach der Beweisaufnahme gehe das Gericht jedoch davon aus, daß der Vater die Beschwerdeführerin vom achten Lebensjahr an regelmäßig sexuell mißbraucht habe.

Auf die Berufung des Vaters gab das Oberlandesgericht (OLG) der Klage teilweise statt. Es verurteilte die Beschwerdeführerin, die Mißbrauchsbezichtigungen zu unterlassen, wenn sie dabei den Namen des Vaters oder ihren eigenen Namen nenne. Auch das OLG ging nach der Beweisaufnahme von der Wahrheit der Vorwürfe aus. Der Vater habe zwar hinzunehmen, daß die Beschwerdeführerin berechtigte Interessen verfolge. So dürfe sie z.B. gegenüber dem Jugendamt tätig werden. Unabhängig davon brauche der Kläger jedoch wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechtes nicht zu dulden, daß er in der Öffentlichkeit unter Nennung seines Namens angeprangert werde. Er könne zumindest verlangen, daß sich die Beschwerdeführerin über den sexuellen Mißbrauch in einer Weise äußere, die seine Identifikation nicht ohne weiteres zulasse. Dies dadurch zu erreichen, daß sie seinen Namen nicht nenne und selbst unter einem Pseudonym auftrete.

Gegen dieses Urteil erhob die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde, soweit ihr die Nennung des eigenen Namens verwehrt wurde. Sie rügte u.a. die Verletzung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (Meinungsfreiheit) und Art 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht).


II.


Der Erste Senat hat der Beschwerdeführerin recht gegeben. Das angegriffene Urteil verletzt sie in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit und im allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. a) Die Nennung des eigenen Namens im Zusammenhang mit einer Äußerung ist durch die Meinungsfreiheit geschützt.Der Namensangabe kommt wesentliche Bedeutung für die Äußerung selbst und für den individuellen und öffentlichen Meinungsbildungsprozeß zu. Die freie Meinungsäußerung ist „unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft“. Fügt jemand seiner Aussage den eigenen Namen bei, so bringt er damit zum Ausdruck, daß er die Äußerung als seine persönliche Auffassung oder Schilderung kundtun will und bereit ist, für sie einzustehen und im Fall einer Tatsachenbehauptung ggf. mit seiner Person für ihre Wahrheit zu bürgen. Gerade bei Äußerungen, mit denen der Sprecher sich in hohem Maß identifiziert oder sein eigenes Schicksal darstellt, gehört die Namensnennung daher zu den Voraussetzungen der Vermittlung des Äußerungssinns.Zudem kann die Namensnennung bei der Schilderung belastender Erfahrungen andere Betroffene ermutigen, ihr Schweigen zu brechen. Insbesondere kann ein persönliches Bekenntnis in der Öffentlichkeit helfen, die mit gesellschaftlichen Tabuisierungsgewohnheiten oft verbundenen Schuldzuweisungen zu durchbrechen. Zur Meinungsfreiheit gehört weiterhin das Recht, für die eigene Äußerung diejenigen Formen und Umstände zu wählen, die ihr eine möglichst große Wirkung sichern. Die Wirkung ener Äußerung hängt aber wesentlich davon ab, ob ihr Urheber erkennbar ist oder nicht. Anonymen Äußerungen fehlt häufig dasjenige Maß an Authentizität und Glaubhaftigkeit, welches ihnen erst den gewünschten Einfluß verleiht oder Reaktionen hervorruft.

    b) Die Möglichkeit, den eigenen Namen zu nennen, ist zudem durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt.

    Der Name ist auch Ausdruck der Identität und Individualität der Person. Als solches läßt er sich nicht beliebig austauschen. Aufgrund der Namensnennung können Dritte Äußerungen nicht nur ihrem Urheber zurechnen, sondern auch in das Persönlichkeitsbild einordnen, das sie sich von ihm machen. Zugleich gewinnen sie die Möglichkeit, neben dem Äußerungsinhalt auch die dahinterstehende Person zu beurteilen.

  2. Diesen Grundrechten wird die angegriffene OLG-Entscheidung nicht gerecht.a) Auch Zivilgerichte müssen bei der Auslegung und Anwendung von Vorschriften der Bedeutung und Tragweite von Grundrechten Rechnung tragen. Das verlangt in der Regel eine Abwägung zwischen den jeweiligen grundrechtlich geschützten Positionen.b) Das OLG hat zwar die Persönlichkeitsbelange des Vaters verfassungsrechtlich einwandfrei gewürdigt. Die von Grundrechten geschützten Belange der Beschwerdeführerin sind in die vom OLG vorgenommene Abwägung dagegen nicht ausreichend eingegangen.

    Auf ihrer Seite fällt unter den Gesichtspunkten der Meinungsfreiheit und des Persönlichkeitsrechts vor allem ins Gewicht, daß die umstrittene Äußerung einen gesteigerten Persönlichkeitsbezug aufweist und durch das Verbot der Namensangabe weitgehend um die erhoffte Wirkung im Kommunikationsprozeß gebracht würde. Die Äußerung betrifft ein äußerst folgenschweres, die körperliche und seelische Entwicklung der Beschwerdeführerin bestimmendes Erlebnis. Entschließt sich jemand dazu, sich mit Erlebnissen dieser Art an andere oder an die Öffentlichkeit zu wenden, liegt in dem Verbot, das höchstpersönliche Schicksal auch in personalisierter Form zu schildernregelmäßig eine einschneidende Beeinträchtigung der Kommunikationsmöglichkeiten und der Persönlichkeitsentfaltung.

    Das Verbot verringert auch die Wirkung des Berichts auf Personen in ähnlicher Lage oder die von den Problemen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern bewegte Öffentlichkeit, weil die mit der Namensnennung regelmäßig verbundene Glaubhaftigkeit und Authentizität der Schilderung auszubleiben droht. Ebenso verringert sich der Ermutigungseffekt, den die öffentliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Schicksal für Personen in ähnlicher Lage haben kann. Rückmeldungen an die um Resonanz bemühte Beschwerdeführerin sind erschwert.

    Die Äußerung der Beschwerdeführerin läßt sich als Bloßstellung des Vaters nicht ausreichend verstehen, sondern muß auch im Zusammenhang mit der Überwindung der Opferstellung gesehen werden. Die Opfersituation würde sich nochmals verstärken, wenn dem Opfer die Darstellung in personalisierter Form verwehrt würde. Insofern ist das Äußerungsinteresse der Berdeführerin höher zu veranschlagen als das Dritter oder der Medien, die sich unter Nennung der beteiligten Personen über derartige Vorfälle äußern wollen. Was zu gelten hat, wenn Medien aus Anlaß eines Opferberichts diesen um eigene Berichte aus dem Umkreis des Täters erweitern, bedarf hier keiner Entscheidung.

    Im Rahmen der gebotenen Abwägung ist auf seiten des Vaters das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu beachten, das u.a. auch vor Darstellungen in der Öffentlichkeit schützt, die die Persönlichkeitsentfaltung erheblich beeinträchtigen können.

    Die Folgen für den Vater sind hier schwerwiegend, weil sich der Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs des eigenen Kindes auf ein besonders verabscheuungswürdiges Verbrechen bezieht. Berichte über ein derartiges Verhalten führen meist zu einer Stigmatisierung des Täters, die die Persönlichkeitsentfaltung nachhaltig erschwert.

    Der Schutz, den das allgemeine Persönlichkeitsrecht insoweit vermittelt, hängt nicht davon ab, daß die Aussagen über einePerson unwahr sind. Er greift vielmehr auch, wenn die Aussagen wahr sind und deshalb zum Anknüpfungspunkt einer allgemeinen sozialen Ausgrenzung und Isolierung werden.

    Andererseits hängt das Gewicht einer solchen Grundrechtsbeeinträchtigung von der Breitenwirkung der diskriminierenden Folgen ab. Diese kann je nach dem Bekanntheitsgrad des Betroffenen unterschiedlich ausfallen. Des weiteren muß berücksichtigt werden, ob die Wirkungen der Äußerung wegen der Häufigkeit des Namens begrenzt sind.

    c) Das OLG hat die für eine Veröffentlichung unter Namensnennung sprechenden Gründe nicht ausreichend gewürdigt. Seine Entscheidung weckt Zweifel, ob es sich des Umstands, daß die Nennung des Namens der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit ihrer Äußerung unter den Schutz der Meinungsfreiheit und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fällt, bewußt war. Jedenfalls sind die von diesen Grundrechten geschützten Belange der Beschwerdeführerin in die Abwägung nicht genügend eingegangen.

    Dabei fehlt es insbesondere an einer den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG Rechnung tragenden Berücksichtigung der Funktionen, die der Nennung des eigenen Namens im Zusammenhang mit Äußerungen des Namensträgers zukommen können und aufgrund derer der Name nicht ohne weiteres verzichtbar ist. So hat das OLG keine Überlegungen zu der Frage angestellt, ob und inwieweit die Beschwerdeführerin die Mißbrauchserfahrungen durch eine Darstellung in der Öffentlichkeit als eigene Erlebnisse und gerade unter ihrem eigenen Namen verarbeiten will.

    Ferner hat es nicht erörtert, inwieweit es auf die Beifügung des Namens ankommt, damit die Äußerungen über den Mißbrauch sowohl für die Beschwerdeführerin als auch für die Empfänger den Charakter einer authentischen Mitteilung erhalten. Auch ist der im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung relevante Gesichtspunkt außer acht geblieben, daß eine Personifizierung der Erfahrung eines sexuellen Mißbrauchs helfen kann, gesellschaftlicher Tabuisierung entgegenzuwirken und andere Betroffene zu eigenen Äußerungen und Handlungen zu ermutigen.

    Das Gericht hat sich weiter nicht damit auseinandergesetzt, daß die Nennung des eigenen Namens im Zusammenhang mit einer eigenen Äußerung zum persönlichkeitsnahen Bereich des Meinungsäußerungsfreiheit zählt und eine Unterlassungsverpflichtung deshalb eine besonders intensive Beeinträchtigung bedeutete. Es hat auch nicht berücksichtigt, daß der sexuelle Mißbrauch von Kindern eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage ist, so daß das Interesse der Gesellschaft, aus der Opferperspektive über Taten und ihre Folgen informiert zu werden, das Gewicht der Meinungsfreiheit verstärkt.

    Hinsichtlich der Person des Vaters hätte sich das OLG andererseits mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie groß die Identifizierungsgefahr aufgrund des Namens im konkreten Fall ist, in welchem Umfang ihn die Folgen einer Identifizierung treffen und ob er Möglichkeiten hat, sich diesen zu entziehen.

Beschluß vom 24. März 1998 – 1 BvR 131/96

Quelle:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/bverfg_cgi/pressemitteilungen/text/namenenn