12.08.2009 17:44 Themen: Biopolitik Gender Soziale Kämpfe

Die Zwischengeschlechtliche Christiane Völling siegt im Kölner Zwitterprozess zum 3. Mal in Folge gegen ihren ehemaligen Zwangsoperateur Prof. Dr. L. Heute Mittwoch fällte das Landgericht Köln sein Urteil über die Höhe des Schmerzensgeldes (Az: 25 O 179/07). Das LG folgte dabei vollumfänglich dem Antrag von Christiane Völling und ihrem Anwalt Georg Groth und verurteilte den Chirurgen zu einer Schmerzensgeldzahlung in der Höhe von 100’000 Euro plus Zinsen.

Uneinsichtiger Zwangsoperateur

In der Sache war der Zwitterprozess bereits mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 3. September 2008 letztinstanzlich entschieden (Az: 5 U 51/08). Im erneuten Verfahren vor LG ging es nur noch um die Höhe des Christiane Völling zustehenden Schmerzensgeldes. Trotzdem will der unbeirrte Zwangsoperateur „partout nicht zahlen“ und wird höchstwahrscheinlich auch gegen dieses Urteil erneut Berufung einlegen — wohl nicht zuletzt aufgrund des Drucks seiner MedizynerkollegInnen, die an einem abgeschlossenen Verfahren aus nahe liegenden Gründen absolut kein Interesse haben.

Auch hofft der letztinstanzlich verurteilte Chirurg womöglich, dem Opfer seines Zwangseingriffs würde ob der nun schon 2 Jahre dauernden Prozessiererei gelegentlich der Schnauf ausgehen. Christiane Völling zu diesem Versuch einer Zermürbungstaktik: „Da ist er an die Falsche geraten!“

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org gratuliert Christiane zu diesem erneut grossartigen Sieg! Ein weiterer Meilenstein im Kampf gegen Zwangsoperationen und für Selbstbestimmung für alle zwischengeschlechtlichen Menschen!

Zwischengeschlecht.org fordert:

1) Gesetzliche Massnahmen zur sofortigen Beendigung aller Zwangseingriffe an Zwittern, Aufhebung/Verlängerung der Verjährungsfristen und Bestrafung aller TäterInnen!
2) Zwangsbehandelte Zwitter sind unverzüglich und umfassend zu entschädigen!
3) Rechtliche Anerkennung der Zwitter inkl. optionalem 3. Geschlechtseintrag für Zwitter!
4) Intersexualität als nicht-pathologische biologische Besonderheit muss auf allen Ebenen in allen biologischen und sozialen Fächern unverzüglich in den Lehrplan aufgenommen werden!
5) Umgehende Schaffung verbindlicher „Standards of care“, inkl. psychologischer Beratung und Peer Support, unter Einbezug der betroffenen Menschen und ihrer Organisationen!

Lebenslanges Leiden an genitalen Zwangsoperationen

Zwitter (zwischengeschlechtliche Menschen / Hermaphroditen / „Intersexuelle“) sind nicht per se krank oder behandlungsbedürftig. Trotzdem werden zwischengeschlechtlich geborene Kinder bis heute in der Regel vor dem 2. Lebensjahr ohne ihre Einwilligung an ihren „uneindeutigen“ Genitalien zwangsoperiert,  zwangskastriert und Zwangshormontherapien unterzogen.

Dabei wird eine zu grosse Klitoris resp. ein zu kleiner Penis operativ verkleinert oder gar amputiert. Viele Zwangsoperierte beklagen, dass dadurch das sexuelle Empfinden vermindert oder gänzlich zerstört wird, sowie über schmerzende Narben.

Viele Zwitter werden zudem — wie auch Christiane Völling — unter Vorspiegelung eines angeblich pauschalen „Krebsrisikos von 30%“ flächendeckend „prophylaktisch“ kastriert, d.h. es werden ihnen die gesunden, Hormone produzierenden inneren Geschlechtsorgane entfernt, was eine lebenslange Substitution mit körperfremden Hormonen zur Folge hat, sowie zum Teil gravierende gesundheitliche Probleme, unter anderem Depressionen, Adipositas, Stoffwechsel- und Kreislaufstörungen, Osteoporose, Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten und Libidoverlust. Bis heute werden zwangskastrierte Zwitter regelmässig gezwungen, adäquate Ersatzhormone aus der eigenen Tasche zu bezahlen.

Was 99% der Zwitter erlebt haben, ist verwandt mit sexuellem Missbrauch, ist verwandt mit Folter, ist verwandt mit Mächchenbeschneidungen in Afrika, ist verwandt mit den medizinischen Experimenten, die im 2. Weltkrieg in KZ’s durchgeführt wurden.

Studien belegen massive Menschenrechtsverletzungen

Aktuelle, umfangreiche Forschungsergebnisse des deutschen „Netzwerk Intersexualität/DSD“, ironischerweise finanziert mit Bundesgeldern, die „Hamburger Studie“ 2007 und die „Lübecker Studie“ 2008 (mit 439 Proband_innen, zum Teil auch aus der Schweiz, die weltweit bisher grösste), beweisen einmal mehr:

– Die meisten Opfer der menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen tragen massive psychische und physische Schäden davon, unter denen sie ihr Leben lang leiden.
– Nicht zwangsoperierte Zwitter haben im Vergleich eine deutlich höhere Lebensqualität.
– Trotzdem werden nach wie vor über 80% aller Zwitter meist mehrfach zwangsoperiert.

Bezeichnenderweise versucht das „Netzwerk DSD“ aktuell, die eindeutigen Studienergebnisse nachträglich zu frisieren.

Weiter bestätigen ExpertInnen, dass diese Zwangseingriffe ethische Grundsätze verletzen und auch strafrechtlich nicht haltbar sind.

Bundesregierung deckt Zwangsoperateure

Als Geldgeber der Medizyner sind Behörden und die Öffentlichkeit mit verantwortlich für deren Taten.

In Deutschland propagiert die Bundesregierung gar Zwangseingriffe an Zwittern regelmässig aktiv mit tatsachenwidrigen Behauptungen wie zum Beispiel, es sei ihr „nicht bekannt“, „dass eine Vielzahl von Intersexuellen im Erwachsenenalter die an ihnen vorgenommenen Eingriffe kritisiert“. Auch die Parteien, die Antidiskriminierungsstelle, Deutscher Ethikrat, Amnesty International, Terre des Femmes, die UNO usw. — alle schweigen sie und sehen keinen Handlungsbedarf.

Für viele ohne ihre Einwilligung zwangsoperierte Zwitter kommt dieses kategorische Ignorieren ihrer Leiden einer Mittäterschaft gleich.

Christianes Prozess auf Zwischengeschlecht.info:

Christiane Völlings Geschichte
1. Pressemitteilung
Demoaufruf 1. Prozesstag
Bericht 1. Prozesstag
Pressespiegel 1. Prozesstag
Warum Christiane Völling zur Transsexuellen gemacht werden soll
Wegen Zwitterprozess: Druck auf Ärzte wächst
Bericht und Pressespiegel 2. Prozesstag
Christiane: Der Kampf geht weiter
Bericht provisorischer Entscheid OLG
Bericht definitiver Entscheid OLG
Pressespiegel definitiver Sieg vor OLG
Zwitterprozess: Verurteilter Chirurg will nicht zahlen!
Merkel & Co: Einladung zum Zwitterprozess!
Zwitterprozess: Verurteilter Chirurg als Gutachter für Behandlungsfehler
„Schmerzensgeld-Prozess“ – Sat1 NRW 19.5.09
3. Prozesstag 20.5.09: „Netzwerk DSD“ fällt Chirurgen in den Rücken
> Pressemeldungen zum „Zwitterprozess“
> Internationale Artikelübersicht auf OII

http://zwischengeschlecht.org

Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info

Quelle: http://de.indymedia.org/2009/08/258042.shtml