Sehr geehrter Herr  Denef,

da auch ich – jetzt 78 – als 16-Jähriger von einem katholischen Priester missbraucht wurde, ist es auch mir ein Anliegen, alles zu tun, um diese Missstände zu beseitigen. Die Missstände sind ja nicht die Schuld einzelner, sondern sie sind Folgen einer völlig verfehlten Einstellung der katholischen Kirche zur Sexualität. Leider sind die meisten dafür Verantwortlichen nicht imstande, die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen.

Die Geschichte meines Missbrauchs ist weit weniger dramatisch als die Ihre und hat bei mir, soweit ich es jetzt beurteilen kann, keine bleibenden Schäden hinterlassen, außer einer starken Abneigung gegen Zigarrenraucher. Die Entscheidung, ob Sie meine Geschichte veröffentlichen wollen, überlasse ich Ihnen.

Im Sommer 1946 durfte ich als 14-Jähriger mit einem Kindertransport auf zwei Monate in die Schweiz fahren. Ein Teil dieses Aufenthalts fand in einem Pfadfinderlager statt, das von einem Theologiestudenten geleitet wurde.
Dieser Theologiestudent wurde im Jahre 1948 zum katholischen Priester geweiht und lud mich zu seiner Primiz ein. Ich wurde dort in Pratteln in der Nähe von Basel im Pfarrhaus untergebracht, wo ich mit dem Pfarrer allein wohnte.
Dieser Pfarrer, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnern kann, ein sehr großer und kräftiger Mann, befahl mir, mich auf eine Couch zu legen. Dann legte er sich auf mich, presste seinem Mund auf meinen Mund und sagte: „Gib mir was!“ Offenbar erwartete er sich Zungenküsse, die ich ihm aber verweigerte. Er war ein starker Zigarrenraucher und mich widerte dieser Gestank an.
Am nächsten Tag fragte mich  mein Freund, der Neupriester: „Hat er dich geliebt?“ Ich war erschüttert darüber, dass mein Freund von der Veranlagung des Pfarrers gewusst und mich nicht gewarnt hatte. Er hätte ja auch veranlassen können, dass ich anderswo untergebracht würde. Aber wir besprachen den Vorfall damals nicht weiter.
Da bekanntlich mit zunehmendem Alter Kindheitserinnerungen wieder stärker bewusst werden, ist mir auch dieser Vorfall in letzter Zeit wieder mehr bewusst geworden, vermutlich aber auch veranlasst durch die inzwischen darüber entfachte Diskussion.

Noch einige Bemerkungen zu diesem Thema:

Ich bin empört über die Reaktion von Papst Benedikt auf den Murphy Report – zumindest wie sie von den katholischen Medien dargestellt wird: der Papst sei „bestürzt“ gewesen, als er „jetzt“ davon erfuhr. Hatte er nicht 2001 als Kardinal die 1962 von Kardinal Ottaviani erlassene Anordnung bekräftigt, jedes Mitglied eines Kirchentribunals, das Berichte über solche Missbräuche an die Öffentlichkeit bringe, werde mit Exkommunikation bestraft?
Die vier jetzt zurückgetretenen irischen Bischöfe haben nichts anderes getan, als diese Anordnung befolgt.
In einem Interview mit der katholischen Wochenzeitung „Die Furche“ vom12. Februar 2004 hatte der damals neu ernannte Erzbischof Diarmuid Martin von Dublin offen über diese Missbräuche gesprochen und dabei erwähnt, dass etwa 3% der pädophilen Täter Priester seien. Wenn aber nur etwa 0,1% der erwachsenen männlichen Bevölkerung Priester sind, dann bedeutet das, dass Priester etwa dreißigmal eher zu Tätern werden als durchschnittliche Männer. Man könnte sagen: ein Glück für unsere Kinder und Jugendlichen, dass es immer weniger Priester gibt. Allerdings verleitet der Priestermangel dazu, trotz aller gebotenen Vorsicht doch immer wieder ungeeignete Kandidaten aufzunehmen.
Wie neuere Fälle zeigen, werden strengere Strafen das Problem nicht beheben. Eine grundlegende Reform des Systems „Katholische Kirche“ ist nötig, wie sie zum Beispiel Bischof Geoffrey Robinson in seinem Buch „Confronting Power and Sex in the Catholic Church – Reclaiming the Spirit of Jesus“ skizziert hat.

Friedrich Griess
Doppelngasse 117
3412 Kierling
Österreich
Tel.: +43 664 49 250 49
http://griess.st1.at