Leserinnenbrief zum Kommentar von Nina Apin
„Endlich redet die Kirche“ (Ausgabe taz vom 30.1.2010, Seite 33)

Berlin, d. 30.1.2010

Liebe Redaktion,
Liebe Frau Apin,

Ihr habt in Eurer Ausgabe vom 30.1.2010 gleich drei Artikel auf der Seite 33 „berlin“ zum Thema „Missbrauch/Katholische Kirche“ veröffentlicht.

Das zeigt, dass Ihr davon ausgeht, dass dieses Thema Eure LeserInnen bewegt und interessiert.

Ich nehme mal an, dass ich als 45jährige, eher links-ökologisch eingestellte, gut ausgebildete und engagierte Berlinerin eine Eurer typischen LeserInnen bin.

Die im positiven Sinne kritische, mitunter „freche“ und originelle Berichterstattung in der taz schätze ich so sehr, dass ich seit Jahren eine treue Abonnentin bin.

Ich finde es gut, dass Ihr mitunter auch für „bewegte“ LeserInnen unbequeme Positionen vertretet und so dazu anregt, überkommene, vertraute Überzeugungen neu zu überdenken.

Umso entsetzter war ich heute Morgen, als ich den Kommentar von Nina Apin zu den Vorfällen im Canisius-Kolleg las.
Insgesamt ist er wohlwollend formuliert, was das Verhalten des Rektors, Pater Klaus Mertes, angeht.

Ich hätte mir diesbezüglich eine etwas kritischere Betrachtung gewünscht, zumal ja rechts neben dem Kommentar in dem Artikel „Noch mehr Missbrauchsopfer“ jede Menge Hinweise zu finden waren, über die jede/r mit dem Thema „sexuelle Gewalt“ auch nur im Ansatz vertraute JournalistIn hätte stolpern müssen.

Was mich aber im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen hat, war der Schlusssatz von Nina Apin: „Langfristig würde wohl die Abschaffung des Zölibats für Priester am meisten bewirken“.

Solche Vorschläge hätte ich eher in der BZ oder der BILD vermutet. Deshalb habe ich mir mal deren Websites angeguckt – und siehe da – ich durfte wieder mal ein Vorurteil revidieren.

Keinerlei fragwürdige Berichterstattung zu finden– im Gegenteil: die BILD informiert sachlich und gibt hat sogar weitere links auf Themen wie: „Woran erkenne ich, dass mein Kind sexuell missbraucht wird“ und befragt dazu Leute von „Dunkelziffer e.V.“. Sogar Johnny Haeusler (Spreeblick) wird dort interviewt.

Nun komme ich aber ins Grübeln.

Hinter dem oben zitierten Satz steckt die irrige und überkommene Annahme, dass sexuelle Übergriffe von Priestern die zwangsläufige Folge von erzwungener sexueller Enthaltsamkeit seien. So nach dem Motto „na wenn er denn seine Frau pimpern dürfte, dann müsste er ja keine Kinder begrapschen“.
Ganz zu Ende gedacht hieße das  „Seine Frau hätte der Priester missbrauchen dürfen, Kinder nicht“.

Ich weiß nicht, wie viele Artikel in der 30jährigen Geschichte der taz schon zum Thema „sexuelle Gewalt“ veröffentlicht wurden. Sicherlich Tausende. Auf jeden Fall spielt ihr doch eine Vorreiterrolle und habt über dieses Thema schon reflektiert berichtet, als andere Blätter noch den „bösen, schwarzen Mann“ vorgestellt haben.

Deshalb begreife ich nicht, wie Nina Apin so etwas schreiben kann. Sie demütigt damit die Opfer, degradiert sie zu sexuellen „Ersatzobjekten“, verharmlost so die Taten und liefert damit Menschen, die sexuell übergriffig handeln, geradezu eine Argumentationsvorlage.

„Missbraucher“ praktizieren eine abnorme, kriminelle Form der Sexualität. Mit Vorsatz, Berechnung und der erklärten Absicht ihre Opfer zu demütigen und ihnen zu schaden.
Dahinter steckt das Bedürfnis, Macht über andere auszuüben und sich selbst damit aufzuwerten.
Viele Missbraucher sind gleichzeitig ehemalige Opfer. Nicht „Normalos“, die zufällig Priester wurden und nun unter der  „unnatürlichen Enthaltsamkeit“ so sehr leiden, dass sie nicht anders können als…

Das Thema der Katholischen Kirche ist nicht das Zölibat, sondern Hierarchie und Machtmissbrauch. Diese Erkenntnis ist so banal, dass ich mich fast schäme, sie hier so formulieren zu müssen.

Ich kann dazu nur sagen – gut gemeint aber gründlich daneben.

Ein Angebot zur Güte: Berichtet doch mal über ein großes Unrecht, nämlich dass sexuelle Gewalttaten an Kindern nach deutschem Strafrecht immer noch verjähren. In anderen europäischen Ländern ist das anders.
Infos auf der website „norbert.denef.com“ – dort findet Ihr auch einen Petitionsaufruf.

Wünsche Euch eine schöne Arbeitswoche und freue auf viele gute Artikel in der taz.

Angelika Oetken
Parrisiusstraße 23
12555 Berlin