Missbrauchs-Opfer fordern klare Standards für Vorgehen bei Missbrauchsverdacht an Institutionen.

Von Hadija Haruna

„Ich weiß, was Schweigen heißt. Es schaltet dein Gehirn ab, damit Du das Gefühl in Dir unterdrücken kannst“, sagt Norbert Denef. Seitdem die Missbrauchsfälle an Schulen des Jesuitenordens bekannt wurden, wollen viele seine Geschichte hören. Denef wurde acht Jahre lang von einem Pfarrer und einem Kirchenangestellten missbraucht. Als erstes bekannt gewordenes Missbrauchsopfer in Deutschland erhielt er von der katholischen Kirche eine Abfindung in Höhe von 25 000 Euro, unter einer Bedingung: Er sollte sich verpflichten, fortan über das Geschehene zu schweigen. Doch Denef kämpfte gegen die Klausel und machte seinen Fall Jahr 2000 bekannt. Heute setzt er sich für andere Missbrauchsopfer ein.

Die Folgen eines Missbrauchs seien komplex, sagt Denef. Viele Opfer könnten, wenn überhaupt, erst nach sehr langer Zeit über das Erlebte sprechen. Andere verleugneten den Vorfall ein Leben lang. „Viele schweigen aus Angst, ins Abseits gedrängt zu werden, denn in unserer Gesellschaft sind Missbrauchsopfer meist die Verlierer und die Täter stehen im Vordergrund.“ So wie im Fall des Jesuitenordens. „Die haben die Bombe selbst gezündet und versuchen jetzt als Aufklärer mit einer unabhängigen Mittlerin für die Betroffenen ihr Ansehen zu retten. Doch das einzige was zählt ist, wie offen sie ihre Karten auf den Tisch legen und was sie den Opfern anbieten.“

Darum geht es auch der Berliner Rechtsanwältin Manuela Groll. Sie vertritt neun der betroffenen ehemaligen Schüler, die sich unabhängig voneinander bei ihr gemeldet haben. „Das ist erst der Anfang. Die Lawine ist losgetreten, doch die Verhandlungen werden sicherlich noch länger andauern.“ Zu ihrem strategischen Vorgehen könne sie aus Gründen der Schweigepflicht nichts sagen. Die weiteren Schritte hingen jedoch vom Zwischenbericht des Kollegs ab. der am Mittwoch erschien. Eine Sammelklage wie bei einem Flugzeugabsturz könne aber nicht angestrebt, jeder Mandant mit seiner individuellen Geschichte vertreten werden. Doch sie alle fordern Aufklärung und Entschädigung: „Wenn die Taten strafrechtlich nicht verjährt wären, hätten wir keine Schwierigkeiten bei der Akteneinsicht und sie könnten einfach als Nebenkläger auftreten.“

Nicht nur zahlenmäßig wächst die Dimension der Missbrauchsopfer, klar ist auch, dass der Jesuitenorden viel früher als zugegeben von den Taten gewusst hat. Ein erster Verdacht soll bereits 1975 an die Schule gerichtet worden sein, bevor 1981 einige Schüler einen Brief an den Orden und die Schulleitung richteten und darauf nie eine Antwort bekamen. Die letzten Übergriffe des geständigen Täters Wolfgang S. werden in Deutschland auf das Jahr 1989 datiert. Damit sind sie spätestens seit Anfang 2010 verjährt. Pater Klaus Mertes, Leiter des Canisius-Kollegs hat von vielen Vergehen bereits vor zehn Jahren gewusst. Rechtlich sei er aber nicht verpflichtet gewesen sie zu melden. Geschwiegen habe er damals wegen der Scham der Betroffenen. Die übergeordneten Ordensstellen habe er jedoch informiert und sie aufgefordert, genau hinzuschauen, „damit die Täter nichts mehr anrichten können“.

Die Schulaufsicht werde immer aktiv, wenn sie entsprechende Hinweise von einer Schulleitung, Eltern oder Schüler erhalte und die bezichtigten Akteure im Schuldienst tätig seien, sagt Jens Stiller, Sprecher der Berliner Bildungsverwaltung. Die Senatsverwaltung sei über die Vorfälle aus der Vergangenheit informiert worden, es sei aber kein Fall gemeldet worden, bei dem eine Tat an der Schule in die Gegenwart reiche.

Zu frühe Verjährung und fehlende Zuständigkeiten seien die Probleme bei Missbrauchsfällen, sagt Denef. Die Kieler Strafrechtlerin Monika Frommel fordert nun klare Standards, wie eine Institution – auch eine Schule – bei einem Missbrauchsverdacht vorzugehen habe. „Bei einem Verfehlen kann sie dann auch leichter als Mitverantwortlich belangt werden.“

Quelle:

http://www.tagesspiegel.de/berlin/Canisius-Kolleg-Missbrauch;art270,3033797