focus.de 18.02.2010
Uta Ranke-Heinemann
„Der Papst weint Krokodilstränen“
Die Theologin Uta Ranke-Heinemann erklärt im Interview mit FOCUS-Redakteur Matthias Kietzmann, wie die katholische Kirche die Justiz bei der Aufklärung des Missbrauchsskandals behindert.
Von FOCUS-Korrespondent Matthias Kietzmann
Der jahrelange Missbrauch von Kindern durch katholische Priester hat eine hitzige Moraldebatte ausgelöst. Papst Benedikt verurteilte den tausendfachen Missbrauch in irischen Kindereinrichtungen in dieser Woche als abscheuliches Verbrechen und schwere Sünde gegen Gott. Zu den Missbrauchsfällen an katholischen Jesuiten-Kollegs in Deutschland äußerte er sich nicht. Der Augsburger Bischof Walter Mixa löste Empörung mit seiner These aus, die sexuellen Revolution mit Schuld an dem Missbrauch.
FOCUS Online: Frau Professor Ranke-Heinemann, was ärgert Sie so an der Debatte über die Pädophilie-Fälle an kirchlichen Schulen und in Irland?
Uta Ranke-Heinemann: Die Komödie, die die Kirchenoberen uns vorspielen. Nehmen Sie die irischen Bischöfe, die sich in Rom beim Papst „entschuldigen“ für ihre jahrzehntelange Vertuschung der Pädophiliefälle und die jetzt „reuig“ Rat suchen beim Heiligen Vater. Das Ganze halte ich für eine einzige Irreführung der Menschheit. Die Szene sieht nicht so aus, als würden bußfertige Sünder um Vergebung vorsprechen. Richtig, der Papst betonte die besondere Verabscheuungswürdigkeit der Pädophilie und bedauerte die vielen Fälle in Irland. Er will in Kürze einen Brief an die Iren schreiben und Hilfe für die Betroffenen anregen. Die „reuigen“ Bischöfe stimmen in allem zu. Der Fernsehzuschauer hat den Eindruck eines gemütlichen Kaffeetrinkens unter Freunden, auf dem Tisch fehlt nur der Kuchen.
FOCUS Online: Ihrer Ansicht nach trägt Papst Benedikt eine Mitschuld an diesen Skandalen. Warum das denn?
Ranke-Heinemann: Nun, er hat eines von zwei Geheimschreiben verfasst, die jeder Bischof in seinem Tresor liegen hat. Das erste stammt von Kardinal Ottaviani von 1962 und heißt: „Crimen Sollicitationis“ (Verführung zu sexuellen Handlungen). Das zweite stammt von Kardinal Ratzinger aus dem Jahr 2001 und heißt: „De delictis gravioribus“ (Von den schwersten Verbrechen). Beide Geheimschreiben betonen die „ausschließliche Kompetenz des Vatikans“ in Pädophiliefällen. Gleichzeitig werden alle Bischöfe unter Strafe der Exkommunikation aufgefordert, alle Missbrauchsfälle ausschließlich und nur an den Vatikan zu melden, was zu einer totalen Justizbehinderung für die staatlichen Gerichte führt.
FOCUS Online: Was bedeutet dies in der Praxis?
Ranke-Heinemann: Dies führt zu einer ständigen Versetzung der pädophilen Priester. Über Jahrzehnte lang werden sie von ihrem Bischof hin- und herdelegiert und können ihr Unwesen weitertreiben. Und genau diese Geheimschreiben hatten die irischen Bischöfe ja auch befolgt.
FOCUS Online: Woher wissen Sie so genau, was in dem Geheimschreiben steht, das Kardinal Ratzinger verfasst hat?
Ranke-Heinemann: Glauben Sie mir, ich beschäftige mich damit seit 2002. Die Augen geöffnet hat mir ein BBC-Film von Colm O´Gorman, der als 14-Jähriger in Irland von einem Priester vergewaltigt wurde. Er heißt „Sex Crimes and Vatican“, stammt aus dem Oktober 2006 und zeigt, welches Täuschungsmanöver hier im Gang ist, um das Ansehen der katholischen Kirche und des Papstes nicht zu beschädigen. Die erschütterndste Szene des Films spielte sich 2002 in Mittelbrasilien ab. Dona Elza da Silva, Großmutter des damals fünfjährigen Warly aus einem der ärmsten Winkel der Welt, erzählt dem Reporter, dass ihr Enkel sich das Leben nehmen will, weil alle Kinder ihm nachrufen: „des Priesters kleine Frau“. Dass er von Priester Tarcisio, der kürzlich in der Nachbarschaft einzog, vergewaltigt wurde. Dass sie das dem Bischof gemeldet habe. „Aber der Bischof und alle sind böse mit mir, keiner glaubt mir, die Leute gehen auf die andere Straßenseite, wenn sie mich sehen. Ich fühle mich exkommuniziert.“ Aber dann wird alles aufgedeckt, nicht durch die Kirche, sondern durch die Polizei, die zufällig das Tagebuch des Priesters findet und ihn für 15 Jahre ins Gefängnis steckt.
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Quelle:
Ich habe es an anderer Stelle (Unterstützer-Brief für Aloisius-Kolleg) aufgezeigt: Diffamiert und ausgegrenzt werden die, die die Botschaft bringen. Das Geheimnis aufdecken. Wie die Großmutter von Warly, Dona Elza da Silva, die erleben musste, wie „der Bischof und alle böse mit ihr (sind), keiner ihr glaubt, die Leute auf die andere Straßenseite gehen, wenn sie sie sehen.“
Wir Überlebenden kennen das alles nur zu gut. Und haben deshalb so lange geschwiegen.
Die Aussagen von Frau Ranke-Heinemann kann ich an dieser Stelle voll und ganz unterzeichnen. Der Papst inszeniert mit seinen Bischöfen ein Schmierentheater, er und seine Bischöfe spielen „Betroffenheit“ und „Abscheu“. Hinter den Kulissen geht es darum, sich nur ja nicht in die Karten schauen zu lassen, sich nur ja nichts nachweisen zu lassen, aus Angst, dann vollends die Daseinsberechtigung zu verlieren.
Bei mir macht sich bei Lesen des Interviews langsam ein Gefühl von Sorge breit: Wenn wir nicht aufpassen, wird es den römischen Inszenierern gelingen, UNS den Untergang und den Zusammenbruch ihres Vereins anzuhängen. Den Zorn der „Anständigen“ auf uns zu lenken. Weil wir Opfer ihnen ihre Illusionen rauben. Weil wir bezeugen, was hinter den Kulissen wirklich gespielt wird, und weil wir darüber nicht mehr schweigen.
So ist es immer: Nicht derjenige, der die Übergriffe plant, initiiert, ausführt, der Kinder zur eigenen Befriedigung zu Sexobjekten macht, der schmierige Manipulation betreibt, soll die Gemeinschaft der „Anständigen“ (in diesem Fall die Institution Kirche) verraten haben, sondern das Kind, das irgendwann – erwachsen geworden und langsam seines Rechts auf Integrität bewusst – wagt, diese verbotenen, verlogenen und sein Leben zerstörenden Taten an das Licht der Öffentlichkeit zu zerren.
Die Wut der „Anständigen“ richtet sich gegen die Opfer. Der Brief der „Anständigen“ zur Unterstützung der „Anständigen“ ist da nur der Anfang. Die „Anständigen“ bestehen auf ihr Recht, in einer „anständigen“ Welt zu leben. Sie wollen sich von uns Opfern nicht zeigen lassen, wie grausam die Welt sein kann. Wie „unanständig“, „unordentlich“. Deshalb schließen sie sich zusammen. Und deshalb wollen sie mit uns nichts zu tun haben.
Doch sie beten für uns. Und verlagern damit die „Regelung der Sache“ auf ihren Gott. Der wirds schon richten. So wie sich kleine Kinder eben wünschen, dass der schwarze Mann nicht da ist, weil sie sich ihre Hände vor die Augen halten.
Ein Letztes zu Herrn Mixas Argumentation:
Neben den Sumerern waren auch den Babyloniern und den Israeliten sexuelle Handlungen von Erwachsenen mit kleinen Kindern bekannt. Im antiken Griechenland war die „Knabenliebe“ ein gesellschaftlich akzeptiertes Phänomen.
Auch im Christentum war sexuelle Gewalt gang und gäbe. Obwohl das kanonische Recht die Kinderehe verbot, wurden kleine Mädchen bedenkenlos mit wesentlich älteren Herren verheiratet. Entscheidend waren Geld, Macht und Einfluss.
Die Verfolgung und Hinrichtung vieler Mädchen und Frauen als Hexen diente vielfach dazu, sexuelle Gewalt gegen sie zu verheimlichen. Sexuelles Vergehen an Kindern gehörte im Mittelalter zum Alltag. Sexuelle Gewalt gegen Mädchen im Alter von fünf bis zwölf Jahren war kein Einzelfall, ob sie von Nachbarn, Meistern, Fremden oder dem eigenen Vater verübt wurde.
Sexuelle Übergriffe auf Kinder nahmen im Zuge der Industrialisierung als Folge der Verdinglichung und Verobjektivierung des Menschen alarmierend zu.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde sexueller Missbrauch zunehmend in Zeitungsberichten oder auch von sozialkritischen Künstlern thematisiert. Kindern als Zeugen wurde meistens wenig geglaubt.
Im Nationalsozialismus wurde Kindesmissbrauch als Veranlagung angesehen und die Täter als „minderwertige Menschen“ betrachtet. Die Opfer wurden als geistig und seelisch gestört und sexuell hemmungslos angesehen und deshalb vielfach sterilisiert.
Ungeachtet der Tatsache, dass viele Täter aus dem näheren Bekanntenkreis der Opfer stammen, wird bis in die 1970er Jahre fast ausschließlich vor Fremdtätern gewarnt. Es gibt Aussagen, dass mit der sexuellen Revolution das Interesse an sexuellem Missbrauch etwas abflaute.
Solange ein Josef Ratzinger auf dem Petrusthron sitzt, wird sich in dieser und auch in anderen moralischen Fragen nichts zum Positiven ändern. Ich kenne ihn persönlich, und das schon seit meiner Jugend. Seine konservative und erschreckend verklemmte Art wird es nicht zulassen, dass irgend etwas von den geheimen Akten an die Öffentlichkeit gerät, was er ja vorsorglich schon in seinem Amt als Kardinal 2001 mit dem De delictis gravioribus – Schreiben für alle Bischöfe verbindlich machte.
Er ist zwar rhetorisch Allen voraus, aber dies täuscht nicht darüber hinweg, dass er den ganz profanen Belangen völlig hilflos und verkrampft gegenüber steht.
Schon als Bischof war er nicht in der Lage, mit Jungendlichen ein paar Worte zu wechseln. Er stotterte unbeholfen belanglose Phrasen…, da hat er sicher bis heute noch nichts hinzugelernt. Was will man von einem Papst erwarten, der völlig in seiner Kleruswelt versunken ist und jeglichen Blick zur Realität verloren hat.
Ja, das ist jede Krokodilsträne wert, es ist wirklich zum heulen.
Mit diesem Papst kann es nur rückwärts gehen. Ihm traue ich sogar zu, dass er das 2. Konzil abschafft und wieder zurück zum 1. Konzil plädiert.
Mich wundert gar nichts mehr bei so vielen Wunder in der katholischen Kirche!!!
Sarah – die Ex“nonne“ 🙂
Hallo Sarah,
ja dann wäre „K.K.“ nicht der erste Betrieb, der sich auf diese Art und Weise selbst abwickelt und Platz für Neues schafft.
Meine Vision: spirituell denkende Menschen verschiedener Religionen schließen sich zusammen und beleben den Kern religiöser Bedürfnisse neu.
Spiritualität hat sich über einen sehr langen Zeitraum entwickelt, möglicherweise über mehr als 250 000 Jahre der Menschheitsgeschichte.
Die Abwertung von Frauen, das Reduzieren und die Kontrolle von Sexualität und das Etablieren von Hierarchien sind demgegenüber Neuerungen, die sich eben nicht bewährt haben. Wie wir ja heute sehen.
Sie passen zu totalitären Systemen, aber nicht zu demokratischen Gesellschaften.
Und bringen Anführer wie „Benedikt“ hervor.
Es gibt die monotheistischen Religionen seit höchstens 5000 Jahren.
Menschheitsgeschichtlich und Kulturgeschichtlich ein Witz.
Grüße von Angelika Oetken, Berlin
Hallo Angelika,
deine Vorstellungen laufen sehr konform mit den meinigen.
Jeder Versuch, Spiritualität zu instrumentalisieren, ist dem Scheitern verurteilt. Spiritualität geht mit Freiheit, Kreativität und weitem Horizont einher, also all dem, was – sobald man sie in eine Religionsform pressen will, abhanden kommt, oder sich sogar ins Gegenteil wandelt (siehe kath. Kirche, radikaler, fanatischer Islam, Sekten…) Religionen, die für sich beanspruchen, alleinig die absolute Unfehlbarkeit zu besitzen, arten immer in Redikalismus und Wahnsinn aus. Ich habe mich schon lange von der Institution Kirche abgewandt.
Ich brauche keinen Bernadetto, Mixamaxi 🙂 und wie sie alle heißen, um meine Vorstellungen von Spiritualität zu leben.
Auf die in allen von uns innewohnende Spiritualität
Sarah M.
Lasst endlich dieses Kasperltheather..ich angeblich allmächtigen..freiheit,..für glauben-…freiheit füt kinder…freiheit……und zieht eure vertuscherröcke aus…ich bin nur noch sauer auf dieses kasperlspiel…
Sehr geehrte Fr. Schöttner,
könnten Sie konkret benennen, was Sie als Kasperltheater empfinden? Auf wen oder worüber sind Sie sauer. Wen fordern Sie auf, die Vertuscherröcke auszuziehen?
Liebe Grüße
Sarah M.
Als Papst Benedikt XVI. noch Präfekt der Glaubenkongregation war, gab es die Anweisung, dass alle Missbrauchsfälle der „päpstlichen Schweigepflicht“ unterliegen und nicht öffentlich aufgezeigt werden dürfen. Und heute als Papst…? Aus der Sendung: ttt titel,Thesen, temperamente ARD letzten sonntag mfg. uwe