Offener Brief der Eltern und (Alt-)Schüler des Aloisius-Kollegs in Bad Godesberg
-veröffentlicht durch verschiedene Medien am 17.02.2010

Ein Kommentar von Alkmini Nelsen

Matthäus 6,24-34
Niemand kann zwei Herren dienen. Entweder er wird einen hassen und den anderen lieben, oder wird einem anhangen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.

Aus dem Konfirmandenunterricht mag bei mir nicht viel übrig geblieben sein, doch erinnerten mich  die Schlagzeilen verschiedener Online-Magazine unmittelbar an dieses Bibelzitat. Diesen war zu  entnehmen, dass 520 ehemalige Schüler samt Eltern des Jesuitenkollegs Bad Godesberg tatsächlich ernst mit ihrer Idee machten, einen offen Brief zu den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs an Schülern am Bonner Aloisius-Kolleg zu publizieren. Hierin behaupten die Unterzeichner eine rückhaltlose Aufarbeitung aller Vorwürfe zu betreiben und möglichen Opfern umfassende Hilfe zukommen zu lassen, drückten aber auch gleichzeitig dem Aloisius-Kolleg ihre Verbundenheit aus.

Es wird nicht versäumt zu betonen, dass die Werte des Aloisius-Kollegs als katholische Schule und Internat, geführt vom Jesuitenorden, durch die Ereignisse unberührt sind und bleiben. Das Kolleg sei stets von einer Atmosphäre der Offenheit mit der Anleitung zu selbstverantwortlichem verantwortungsbewusstem Handeln geprägt gewesen.

Mit Verlaub, davon scheint nicht mehr viel übrig geblieben zu sein, drückt diese Aussage doch allenfalls trotziges Entgegensetzen zur Realität sowie eine Atmosphäre der Ignoranz aus, mit der versucht werden soll, die Flucht nach vorn zu starten.

Abschließend wird von den Autoren dann noch der Satz hervorgehoben:

Wir sichern Ihnen und Euch jetzt und in Zukunft unsere volle Unterstützung und Solidarität zu.

Ja was denn nun? Solidarität mit den Opfern oder den Tätern? Gut, lieber mit beiden.

Oder lieber nicht weiter ausführen, wie denn die Solidarität mit den Opfern aussehen könnte?

Noch keine Ideen dazu? Egal, Hauptsache es klingt gut!

Nein, es klingt nach vorauseilendem Gehorsam und weist letztlich eine Positionierung aus, nämlich die, zu den beschuldigten Patres und deren Mitwissern.

Im Anschreiben an Eltern und Ehemalige des Abschlussjahrgangs 1986 wird aufgrund „der sich überschlagenden Ereignisse“ vom Verfasser Bestürzung und Betroffenheit im Namen aller bekundet.
Welche Ereignisse sind denn gemeint?
Dass Jungen dieser Schule über Jahrzehnte von den Lehrern, die Eltern ihnen anvertrauten, systematisch sexuell missbraucht wurden? Ja, das sollte mindestens bestürzt und betroffen machen!
Doch welche Ereignisse überstürzen sich? Der Missbrauch ging doch über Jahrzehnte, auch vor den Augen der Ehemaligen des o.g. Jahrgangs.  Es mag  schwer fallen, sich nun eingestehen zu müssen, all die Jahre weggeschaut, Signale nicht wahrgenommen und die Jungen in dieser Gemeinschaft allein gelassen zu haben. Doch das rechtfertigt die darauf erfolgte Aktion bei weitem nicht.
Wenn man den „Offenen Brief“ liest, wird schnell klar, dass nicht die Ereignisse des sexuellen Missbrauchs – oder der „Grenzüberschreitungen“ wie Pater Theo Schneider diesen noch heute in einem kürzlich veröffentlichten Interview der Sendung „Kontraste“ sarkastischerweise nannte – gemeint sind, sondern die Wahrheit, die nach und nach aufgedeckt und beleuchtet wird.
Weshalb Ehemalige und Eltern unterschrieben haben, dass sie den Entschluss Pater Schneiders von seinem Amt als Rektor des Akos zurückzutreten, zutiefst bedauern, weist, insbesondere nach der vorhergehenden Solidaritätsbekundung mit den Opfern, eine subtile Doppelbödigkeit auf, die auch als solche benannt werden muss.
Darüber hinaus werden durch das Bekenntnis, nicht sexuell missbraucht worden zu sein, von den Unterzeichnern Grenzüberschreitungen munter fortgeführt. An dieser Stelle mag noch einmal erwähnt werden, dass die sexuelle Gewalt an Schülern des Aloisius-Kollegs, in der von der steten Atmosphäre der Offenheit mit der Anleitung zu selbstverantwortlichem, sowie verantwortungsbewusstem Handeln, über Jahrzehnte möglich war! Sind nun die, die nicht unterschrieben haben, folgerichtig Opfer sexuellen Missbrauchs? Dann, werte Initiatoren und Unterzeichner, war dies wohl ein Schuss nach hinten, der die Anzahl der Opfer der Beschuldigten in eine nicht vorstellbare Höhe schellen lässt! Oder gehören diese in den Augen Selbstgerechter, fortan zu den  schweigenden Nestbeschmutzern? Oder wird hier der schäbige Versuch gestartet, diejenigen, die sich mitteilten und weiter mitteilen, durch die Anzahl der Unterzeichner unglaubwürdig zu machen, indem man diese gegenüberstellt?
Was ist mit denen, die sexuelle Übergriffe erlitten haben und glauben, sich die Veröffentlichung dessen nicht leisten zu können, in der nicht seltenen Annahme und Scham, eine Mitschuld zu tragen?
Dieser unüberlegte, unreflektierte Umgang mit potentiellen Opfern sexueller Gewalt ist kein gutes Aushängeschild für die von den Unterzeichnern propagierte respektvolle Atmosphäre am Aloisius- Kolleg.
In dem o.g. Interview des ehemaligen Rektors Pater Schneider, räumte dieser selbst ein, dass ihm die Übergriffe über Jahre hinweg bekannt gewesen seien. Eine weitere hilflose Aussage von ihm war, dass er Pater St. darauf hingewiesen haben soll, das er „dieses Risiko nicht eingehen“ würde.
Welches Risiko? Kinderseelen zu traumatisieren oder bei sexuellen Übergriffen erwischt zu werden?
Befremdlicher weise gibt er zeitgleich an, sich nicht mehr erinnern zu können.
Also bleibt auch diese Frage offen.

Es ist nachvollziehbar bislang im Glauben gelebt zu haben, dass Pater Theo Schneider ein guter Erzieher und Mentor gewesen sei.
Doch das kann allenfalls nur bis zu dem Zeitpunkt gelten, an dem die furchtbaren Taten ans Licht kamen. Insbesondere die Ehemaligen, die um einige Lebensjahre so wie Erfahrungen reicher sein dürften, könnten die Wahl treffen, diesmal den Mut aufzubringen und die Gelegenheit zum Hinsehen und Reflektieren ergreifen.
Was ist so schwer an dem Eingeständnis, dass alle Schüler und Eltern um ihr Vertrauen, welches  sie in die Erzieher und Lehrer setzten, betrogen und getäuscht wurden?
Die Äusserung hingegen, dass die Werte des Kollegs, die schließlich zu Jahrzehnte andauernden sexuellen Übergriffen führen konnten, von den Ereignissen unberührt bleiben, ist neben der weiteren Ohrfeige und der Verhöhnung der Opfer, nur noch beschämend.

Mit Worten wird den Opfern abschließend „jetzt und in Zukunft“ weitere Solidarität zugesagt.
Solidarität, dies ist leider nicht erwähnt worden, bekamen bislang ausschließlich die Verantwortlichen des Aloisius-Kollegs:
In einem Anschreiben wurden sämtliche Ehemalige, Eltern und Schüler zu „großzügigen Spenden“ aufgefordert, die dem Zwecke der Veröffentlichung des im Ergebnis verantwortungsfreien offenen Briefes, dienen sollten. Eine Summe von 30 bis 50 Tsd Euro wurde als Zielbetrag genannt.
Darüber spricht man natürlich nicht.

Mit dieser Summe den Anfang für einen Fonds der sexuell missbrauchten  und gedemütigten ehemaligen Schüler des Aloisius-Kollegs, so wie den für ihre Kinder einstehenden Eltern zu machen, anstatt den Tätern und Mitwissern aus Prestigegründen eine Solidaritätsbekundung abdrucken zu lassen, darauf sind die Unterzeichner bedauerlicher Weise nicht gekommen.

Mir bleibt nur die Distanzierung zu einer Gemeinschaft zu bekunden, die sich auf christliche Werte beruft, jedoch durch ihre Taten und Äusserungen die Schwachen weiter zu schwächen versucht.

Meine persönliche uneingeschränkte Solidarität gehört den Opfern sexueller Gewalt sowie den engagierten Eltern dieser Kinder. Diese nehmen durch das Benennen des Erlebten, die Bedrohung ihres gesamten sozialen Netzwerks in Kauf, so Pater Mertens in einem Interview. Er fügte hinzu, dass dies eine ungeheure Last sei, die die Opfer trügen, welche bestätigt würde, „wenn das Opfer beim Sprechen die flackernde Angst in den Augen der Hörer sieht“.