Offener Brief an

den Orden der Missionare von der Heiligen Familie,
die Diözese Würzburg
die Konferenz der Deutschen Ordensoberen
die Deutsche Bischofskonferenz.

Die Vorgänge im das Canisius Kolleg in Berlin geben Anlass mich laut und deutlich zu Wort zu melden. Mit Pater Mertes übernimmt endlich jemand vernehmlich Verantwortung nicht nur für den Missbrauch und das Vertuschen, sondern auch für die Folgen dieser Taten. Endlich werden einmal die Strukturen die den Missbrauch über Jahre ermöglichten benannt und die Kultur des Schweigens und Wegschauens gebrandmarkt. Pater Mertes ist ein Glücksfall für die Diskussion um den Kindesmissbrauch im Raum der Kirche! Er hat meine unbedingte Hochachtung und meinen Respekt.

Gleichzeitig mischt sich bei mir Verzweiflung mit Wut und Entsetzen. Was ist so anders am Canisius als in Lebenhan? An dem Ort an dem ich und andere emotionaler, körperlicher und sexueller Gewalt ausgeliefert waren? Wir waren kein Eliteinternat, der Orden kein Eliteorden. Missbrauch in Lebenhan heißt: Der für uns verantwortliche Orden, die „Missionare von der Heiligen Familie“ (welch Ironie) weigern sich bis heute Verantwortung für uns zu übernehmen, ja leugnen, dass sie je Verantwortung für uns hatten. Meine Anzeige des Missbrauchs führte nur zu einem neuerlichen Missbrauch. Keines der Opfer wurde von der Untersuchungskommission gehört. Die Bitten von Opfern um ein Treffen der Opfer wurde abgelehnt. Meine Bitte und Forderung alle anzusprechen die damals im Internat waren: abgelehnt. Trotz der Aussage der Opfer, dass es andere Beteiligte gab, dass der Orden von den Verbrechen wusste: der Täter ist geständig, wir sind nicht verantwortlich, wir haben nichts gewusst. Meine Anfragen um Kenntnis des Auftrages an die Untersuchungskommission: abgelehnt, meine Bitte um die Übersendung des Untersuchungsberichtes: abgelehnt aus Gründen des Opferschutzes. Was ist mit den anderen; Herr I., der Kinder nachdem sie von Herrn B. zusammengeschlagen wurden zum Arzt brachte und anschließend wieder in die Hände des Schlägers gab. Was ist mit J.W., welche Rolle spielte er bei dem Missbrauch? Was ist mit Herrn L., der im Religionsunterricht übergriffig war, und was ist damit, dass ein Arbeiter dem Rektor den Missbrauch meldete, dieser aber nichts tat? Bei diesem Arbeiter hat sich ich bis heute niemand vom Orden, auch nicht die Untersuchungskommission gemeldet.

Der Missbrauch in Lebenhan ging über mähr als 10 Jahre, er war systematisch und er war systematisch, Teil des Systems Lebenhan, von der Ordensleitung gewollt. Der Orden selbst ist hier zum Täter geworden, spätestens nachdem er das erste Kind nach Schlägen zum Arzt brachte und dann in die Hände des Schlägers zurückbrachte. Missbrauch wird immer wieder geschehen, und dieser ist schlimm genug. Was aber nicht geschehen durfte, nie geschehen darf ist, dass die Verbrechen und die Verbrecher den Schutz des Ordens geniessen. Der Orden hat mit seinemHandeln die Verjährung bewusst herbeiführt. Wider besseren Wissens wird weiterhin die beliebte These des Einzeltäters zur Vertuschen der eigenen Verstrickung angeführt. Gemeinhin nenne ich solches nicht Orden, erst recht nicht „Heilige Familie“ sondern eine „kriminelle Vereinigung“! An keinem Punkt kann ich erkennen, dass es sich um Männer handelt, um eine Organisation handelt die sich den Worten und dem Leben des Mannes aus Nazareth verpflichtet fühlt.

Meine Bitte an den Bischof von Würzburg um ein Wort und um Seelsorge: abgelehnt, wir haben damit nichts zu tun und sind nicht verantwortlich. Meine Beschwerden bei der Konferenz der Ordensoberen mit Hinweis auf die Leitlinien zum Umgang bei sexuellem Missbrauch: der Orden macht alles korrekt. Meine Bitte an die Diözese Würzburg nach Seelsorge: abgelehnt. Versuche bei mehreren Offizialaten deutscher Bistümer Kenntnis der rechtlichen Situation zu erlangen führten dazu, dass ich von einem die Leitlinien erhielt, von einem anderen wurde mir gesagt, dass ich in einem Verfahren einen Beistand haben kann (aber natürlich nur einen Priester) von einem anderen die Telefonnummer einer Rota-Anwältin in Rom. Kurz: keine Hilfen für Opfer, niemand ist interessiert zu helfen. Dass in der Diözese Würzburg ausgerechte der Personalchef Ansprechpartner für Missbrauchsopfer ist, der wissentlich Täter weiter agieren lies, wenn auch in anderen Diözesen ist schlicht der Inbegriff der Inkompetenz und des Nicht-Sehen-Wollens.

In den Leitlinien die die Bischofskonferenz verabschiedet haben und die die Orden sich zu eigen machten spielen die Opfer keine Rolle. Die Opfer müssen von niemanden gehört werden werden. Einspruchsmöglichkeiten für Opfer gibt es nicht , die Verfahren können in Gänze ohne die Beteiligung von Opfern durchgeführt und abgeschlossen werden. Die Absicht der Leitlinien wird am besten daran deutlich, dass ausgeführt wird, dass auf Antrag der Opfer ein Zuschuss zu Therapiekosten gewährt werden kann. Für Missbrauch der im kirchlichen Raum stattfindet tragen nur die Opfer und die Gesellschaft alle Konsequenzen.

Ich habe bis dato an keinem einzigen Punkt erfahren, dass ich es hier mit Kirche, mit Männern und Organisationen zu tun habe die sich auf Botschaft und Leben des Mannes aus Nazareth berufen, an keinem Punkt. Es hat mich kalt erwischt, als der bekennend verantwortungslose Bischof von Regensburg, der sich weigerte mit den Betroffenen zusammen zu treffen wegen seiner „besonderen theologischen Kompetenz“ zu höheren Weihen nach Rom berufen wurde. Dies war und ist ein Schlag in die Gesichter der Opfer. Wenn Kirche sich nicht klar und entschieden auf die Seite der Opfer stellt und die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit des Mannes aus Nazareth nicht zur eigenen Handlungsmaxime macht ist sie nicht Kirche! Sondern bestenfalls eine Versicherungsgesellschaft mit einem sehr hohen Restrisiko.

Meine Forderungen sind:

an den Orden:

  1. Bestellung eines Beauftragten der weder aus dem Orden noch dem Umfeld des Ordens oder anderer
  2. kirchlicher Einrichtungen entstammt, sondern klar parteilich für die Opfer eintreten kann.
  3. Endlich die Untersuchung und die Aufklärung des Systems Lebenhan und nicht nur die Schuldzuweisung an einen einzigen Täter.
  4. Dass der Orden endlich die Verantwortung übernimmt für die unter seinem Dach und mit seinem Wissen begangenen Verbrechen.
  5. Übernahme der Kosten die den öffentlichen Kassen durch die Behandlung der Opfer entstehen.
  6. Ein Täter-Opfer Ausgleich, der den Orden als Täter mit einschließt.
  7. Veröffentlichung aller relevanter Berichte

an die Diözese Würzburg:

  1. Rücktritt des Ansprechpartners für sexuellen Missbrauch
  2. Benennung eines Beauftragten der klar, entschieden und parteilich auf Seiten der Opfer steht und nicht im Dienst der Kirche oder einer kirchlichen Organisation steht
  3. Endlich klare und entschiedene Pastoral in meiner Heimat um die Leiden der Opfer und das falsche Handeln der Diözese zum Thema zu machen
  4. Mit Druck ausüben auf den Orden, damit dieser sich endlich der Verantwortung stellt, dass unter seinem Dach Kindern der Diözese Würzburg Gewalt angetan wurde.

an die Bischofskonferenz und die Konferenz der Ordensoberen:

  1. Einstampfen der Leitlinien.
  2. Neue Leitlinien müssen die klare und eindeutige Parteinahme für die Opfer nicht nur in der Präambel verbalisieren sondern in konkretes Handeln münden.
  3. Grundsätzliche Übernahme aller entstehenden Behandlungskosten der Opfer, ohne Antrag.
  4. Ein Täter-Opfer Ausgleich.
  5. Opfer müssen zum Subjekt des Handelns werden, das heißt, sie müssen gehört werden, sie müssen Teil des Verfahrens werden.
  6. Einspruchsmöglichkeiten für die Opfer im Verfahren.
  7. Die Verpflichtung der Diözesen und Orden den Opfern bei alle rechtlichen und kirchenrechtlichen Schritte zur Seite zu stehen.
  8. Keine Beförderung von Personen die sich durch Schweigen, Ignorieren, Vertuschen oder mehr an Menschen schuldig gemacht haben.
  9. Die Pflicht zu transparenten, öffentlichen Verfahren, die aber auch die Opfer nicht diskreditieren.
  10. Die grundsätzliche Pflicht zur Information der Opfer.
  11. Es muss aufhören, dass ständig von „Einzeltätern“ gesprochen wird, was fast immer fern jeder Realität ist. Es muss klar und deutlich benannt werden, dass es hier um „strukturelle Sünde“ geht, in der die ganze Kirche verwoben ist. Alle „Einzeltäter“ wurden von ein einer Vielzahl von Mittätern gestützt und geschützt.
  12. Es muss aufhören, dass darauf verwiesen wird, dass die der Missbrauch in der Kirche nicht viel anders ist als anderswo.

In meiner Bibel geht Jesus dem verlorenen Schaf nach und verweist nicht darauf, dass in anderen Herden auch Tieren verloren gehen.

Die Kirche muss sich auf ihre Grundlagen besinnen. Wer in der Diskussion um Kindesmissbrauch in der Kirche glaubt eine angeblich angegriffene Kirche verteidigen zu müssen, wer glaubt sich gegen „Pauschalurteile“ wehren zu müssen, nimmt den Missbrauch und die Opfer nicht ernst, hat aufgehört sich mit der Botschaft selbst zu beschäftigen und betreibt im besten Sinn des Wortes Blasphemie. Würde die Kirche ein ähnliches finanzielles und personelles Engagement beim „Missbrauch des geborenen Lebens“ zeigen wie sie glaubt beim „Schutz des ungeborenen Lebens“ zeigen zu müssen hätte sie weit weniger Glaubwürdigkeitsprobleme.

Bernhard Rasche, Neumarkt
Diplom-Theologe