BR-online 5.03.2010

Tief dringt sie in die Kinderseele ein und schlägt Wunden, die oft ein ganzes Leben lang nicht mehr heilen: Gewalt, sei sie physischer, verbaler oder sexueller Art. Kindsmissbrauch führt aber nicht nur zu psychischen Traumata, er schreibt sich bis in die Gene der Opfer ein, zeigen neuere Studien.

Über 12.000 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern werden in Deutschland in der polizeilichen Kriminalstatistik in jedem Jahr erfasst. Die Dunkelziffer der nicht angezeigten Fälle ist um ein Vielfaches höher. Die Opfer erleiden neben der rein körperlichen Gewalt oft schwere seelische Schäden. Dabei müssen die Misshandlungen nicht sexueller Natur sein: Die erlebte Gewalt und der Machtmissbrauch, oft einhergehend mit einem Vertrauensbruch, lösen psychische Traumata aus, die die Opfer manchmal ein Leben lang quälen.

Tief versteckte Wunden

Psychologen und Therapeuten können bei der geistigen und emotionalen Verarbeitung des Erlebten helfen. Doch was, wenn die Schädigungen tiefer gehen? Sich in den Körper des Opfers einschreiben? Zwei neuere Studien liefern erstmals Hinweise, dass sich Kindsmissbrauch bis in die Gene der Opfer auswirkt und dort Wunden beibringt, die zu neurologischen Schäden und sogar einer geringeren Lebenserwartung führen können.

Studie 1: Gendefekte im Gehirn

Im Februar 2009 veröffentlichte ein kanadischer Neurologe eine Studie, die einen genetischen Schaden im Gehirn von Opfern von Kindsmissbrauch belegte: Michael Meaney von der Universität McGill in Montreal untersuchte Hirnproben von 24 Selbstmördern, deren Lebensgeschichte bekannt war. Die Hälfte von ihnen waren als Kinder missbraucht worden, die andere Hälfte nicht. Zur Kontrolle wurden noch Hirnproben von zwölf Unfallopfern untersucht.

Ständig unter Strom

Meaney entdeckte bei den Selbstmördern, die als Kind missbraucht worden waren, einen Gendefekt im Gehirn, der – vereinfacht ausgedrückt – zur Folge hatte, dass diese Personen aus dem seelischen Gleichgewicht gerieten: Ihr Gehirn stand unter Stress, geflutet vom Stresshormon Cortisol. Nach Ansicht des Neurologen könnte dies Auslöser von psychischen Erkrankungen sein und zu einer erhöhten Selbstmordgefährdung führen. Die Suizidopfer, von denen kein Missbrauch in der Kindheit bekannt war, zeigten diesen Genschaden nicht, ebensowenig die Unfallopfer.

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Quelle:

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