Offener Brief an:

UNICEF Deutschland, Deutscher Kinderschutzbund e.V., Kinderschutz e.V., Dunkelziffer e.V., Zartbitter e.V., Wildwasser e.V.

sowie alle gemeinnützigen Vereine, die sich für die Rechte und Belange von Kindern einsetzen.

Machen Sie sich endlich bemerkbar! Helfen Sie uns! Stehen Sie uns endlich wirklich bei!

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit Wochen kommen beinahe täglich neue schreckliche Informationen über jahrelange sexualisierte Kindesmisshandlungen in Einrichtungen der Katholischen Kirche und mittlerweile auch an nichtkirchlichen Schulen ans Licht der Öffentlichkeit.

Beinahe täglich macht sich mindestens ein ehemaliges Opfer von sexualisierter Kindesmisshandlung auf, sich seiner furchtbaren Kindheit zu stellen und über die abscheulichen an ihm oder ihr begangenen Taten öffentlich Zeugnis abzulegen. Er oder sie ist bereit auszusprechen, was so viele Jahre einsam und allein getragen werden musste. Ja, was manche nicht tragen konnten und sich deshalb das Leben nahmen, so dass nun seine oder ihre Angehörige sprechen.

Beinahe täglich also überwindet mindestens ein ehemaliges Opfer von sexualisierter Kindesmisshandlung seine tiefe Scham und widersetzt sich vielleicht zum ersten Mal den tief eingepflanzten Drohung en des Täters, es zu töten, wenn es das Schweigegebot bricht. Das ehemalige Opfer setzt sich damit auch all den üblichen öffentlichen Abwehrreaktionen auf ihn/sie persönlich und auf sein/ihr Schicksal aus. Und riskiert damit, abermals beschämt und retraumatisiert zu werden.

All das nehmen ehemalige Opfer von sexualisierter Kindesmisshandlung derzeit auf sich, um endlich der Wahrheit an Licht zu verhelfen. Der Wahrheit nämlich, dass sexualisierte Kindesmisshandlung eine weit verbreitete und in allen gesellschaftlichen Schichten vorkommende Tatsache ist. Die Wahrheit, dass sexualisierte Kindesmisshandlung keine einmaligen „Ausrutscher“ irgendwelcher gestörter „Triebtäter“ ist, sondern systematisch vorbereitet und durchgeführt wird, und zwar regelmäßig, wiederholt und unter Missachtung jeglicher strafrechtlicher Konsequenzen seitens der Täter.

Der Wahrheit, dass derjenige, der Kindern sexualisierte Gewalt antut, aussieht wie ein ganz normaler Priester und Lehrer. Und nicht nur das: Er sieht in der Mehrheit auch aus wie ein ganz normaler Familienvater, Opa, Stiefvater, Onkel, Nachbar, etc. Der Wahrheit, dass sexualisierte Kindesmisshandlung vor allem eine Form des Umgangs von Männern mit Kindern ist (neun von zehn Tätern sind männlich). Der Wahrheit, dass wir es hier mit einem weit größeren gesellschaftlichen Problem zu tun haben, als viele jetzt sehen und wissen wollen.

SIE haben sich seit Jahren dem Schutz von Kindern, teilweise ganz speziell dem Schutz von Kindern vor sexualisierter Kindesmisshandlung verschrieben. SIE erfahren seit Jahren in ihrer täglichen Praxis vom TATSÄCHLICHEN AUSMASS dieser Form von Gewalt gegen Kinder.  SIE sammeln seit Jahren Informationen und Daten zu den Hintergründen und zum Vorkommen von sexualisierter Kindesmisshandlung. SIE erhalten seit Jahren private und öffentliche Mittel, um sich für die Opfer von sexualisierter Kindesmisshandlung einzusetzen.

SIE haben sich selbst „fachpolitische Öffentlichkeitsarbeit und Lobbyarbeit“ auf die Fahnen geschrieben. SIE können dabei auf eine Gemeinschaft im Rücken vertrauen.

Und dennoch hat sich seit dem Bekanntwerden der ersten Vorfälle am Canisius-Kolleg in Berlin am 31. Januar 2010 KEINE EINZIGE Opferschutz- bzw. Kinderschutzgemeinschaft zum Thema sexualisierte Kindesmisshandlung öffentlich geäußert. Es gibt keinerlei Presseerklärungen Ihrerseits zum gesamten Komplex sexualisierte Kindesmisshandlung. Es gibt kein öffentliches Eintreten für die Opfer bzw. ehemaligen Opfer. Es gibt keinerlei Aktivitäten, die darauf schließen lassen, dass SIE überhaupt irgendetwas zu diesem Thema beizutragen hätten.

Es gibt keine Aussagen hinsichtlich des tatsächlichen Ausmaßes von sexualisierter Kindesmisshandlung in unserer Gesellschaft. Keine Klarstellung, wie hoch die Zahl der Opfer wirklich ist. Keine Klarstellung, dass der Großteil der Vorfälle nicht in Internaten und Schulen, sondern in den Familien stattfindet. Kein erkennbares Engagement Ihrerseits, diese Tatsache endlich in die öffentliche Diskussion zu bringen. Kein erkennbares Engagement Ihrerseits, sich in die neuerliche Diskussion des gegenwärtigen Strafrechts und/oder zum Thema Verjährungsfrist einsetzen zu wollen.

Es gibt von Ihnen einfach N I C H T S. Außer Schweigen.

Obwohl Sie sich den Kinderschutz und den Opferschutz auf die Fahnen schreiben, überlassen Sie es wieder einzig und allein den Opfern, für ihr Recht und ihre Wahrheit einzutreten und zu kämpfen. Obwohl Sie scheinbar so zahlreiche politische und gesellschaftliche Kontakte haben, nutzen Sie diese Netzwerke nicht, um endlich im Sinne des Opferschutzes für Klarheit und Klarstellung zu sorgen. Obwohl Sie Zugang zu sehr viel mehr Statistiken, Zahlen und Informationen und Erkenntnissen haben, bemühen Sie sich nicht um eine entsprechende Aufklärung der Medien und der Öffentlichkeit.

Ich frage mich, warum?

Und ich frage mich, WANN Sie eigentlich solcherart „fachpolitischer Öffentlichkeitsarbeit und Lobbyarbeit“ eigentlich machen wollen, WENN NICHT JETZT????

Wir Opfer von sexualisierter Kindesmisshandlung fordern von Ihnen

  • Nutzen Sie Ihre Instrumente (Pressemeldungen, Pressegespräche, Vorträge, Interviews in Medien, usw.) und Ihre Kontakte zu Politiker/innen, den Medien und anderen öffentlichen Institutionen, um über die Zusammenhänge, Hintergründe zu informieren.
  • Nutzen Sie Ihre Möglichkeiten, auf das wahre Ausmaß dieser Taten und die bisher verschwiegenen Tatorte (bspw. Familie) hinzuweisen.
  • Nutzen Sie die derzeitige öffentliche Aufmerksamkeit, um breit und nachhaltig über das Thema sexualisierte Kindesmisshandlung aufzuklären.
  • Vor allem: Unterstützen Sie endlich die Opfer in ihrem aktuellen öffentlichen Kampf um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft für das unsägliche Leid, das wir durch diese Misshandlungen erfahren haben und noch erfahren.
  • Machen Sie sich endlich bemerkbar! Helfen Sie uns! Stehen Sie uns endlich wirklich bei!

Mit freundlichen Grüßen

Petra Forberger, 89077 Ulm

Freie Journalistin