ZEIT ONLINE 13.03.2010

Darmstadt/Aachen (dpa) – Die Diskussion über sexuellen Missbrauch darf nach Ansicht des Aachener Psychiatrie-Professors Frank Schneider nicht nachlassen.

«Missbrauch muss in der Gesellschaft grundsätzlich zum Thema gemacht werden», forderte Schneider als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (Berlin) in einem dpa-Expertengespräch. Dies sei für die Vorbeugung wichtig. Schneider ist auch Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik Aachen.

Missbrauch werde nicht durch eine Konfession oder ein Schulkonzept begünstigt. «Ausschlaggebend sind geschlossene Einheiten, wenn der Kontakt zur Außenwelt fehlt», sagte der 52-Jährige. So sei es nicht überraschend, dass neben Einrichtungen der katholischen Kirche mit der Odenwaldschule in Südhessen auch ein Internat mit freiheitlichem Denken in den Schlagzeilen sei. Dort hatten sich zuletzt über 30 Betroffene gemeldet und über Jahrzehnte zurückliegende Übergriffe berichtet. «Dass es bei den Katholiken angefangen hat, ist Zufall. Missbrauch wird durch Abhängigkeit gefördert.»

«Kinder und Jugendliche brauchen Informationen. Sie müssen wissen, wie und woher sie Hilfe bekommen können», umschrieb der Psychiater einen offenen Umgang mit dem Thema. Dann würden auch Betroffene darin bestärkt, sich zu melden. Eine offene Diskussion über Missbrauch sei auch für eine Therapie wichtig. «Entscheidend ist, dass das Opfer von sich aus sagt, was passiert ist.» Betroffene schämten sich, meinten, sie seien selbst schuld. «Ein Opfer hat dann wenig Neigung, nach außen zu gehen», beschrieb Schneider.

Bleibe Missbrauch als Thema aktuell, bremse dies auch mögliche Täter. «Dann wissen sie, dass sie unter Beobachtung stehen», sagte Schneider. «Das wirkt wie eine Radarfalle.»

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