Mir ist es erst geschehen, als ich ’schon‘ 17 Jahre alt war.
Und so richtig ‚knallhart‘ kommt jetzt alles wieder hoch, mit den vielen Berichterstattungen im Fernsehen (lese kaum Zeitung und höre kein Radio). Und zunehmend, bei jedem Fall, ob man jetzt die Menschen sieht oder nur den Text, den sie dem Journalisten gegeben haben, überlegt man, man vergleicht…wie kommt die/derjenige mit ihrem/seinem Leben
klar und wie komme ich zurecht.
Zur Erklärung muss ich ein bisschen auf meine Kindheit und Jugend und somit auch auf meine Familie zurückgreifen. Ich zerbreche mir darüber natürlich viel den Kopf, weil ich einfach nicht verstehen kann, wie Eltern so sind…wie sie bei mir waren….
Und mein ‚Zuhause‘ ist wohl auch der Grund dafür, dass so etwas überhaupt passieren konnte….
Meine Mutter ist die jüngste von 5 gewesen und mein Vater ein mittlerer von 6 und meine Schwester hat es mal so gesagt: da haben sich die zwei schwächsten der jeweiligen Familie getroffen und zusammengetan.
Jedenfalls war meine Mutter mit drei Kindern völlig überfordert. Arbeitsmässig und nervlich.
Ich bin die älteste und zu der Zeit hatten die Eltern noch nicht mal ein Kinderzimmer fürs Kind, dann kamen meine Geschwister und wir hatten dann zu dritt ein Zimmer, das war aber nichts privates, sondern eine Art Aufbewahrungsraum für die Kinder und ansonsten ein normal zu verwendender Wohnungsraum.
So war es später auch, als mein Bruder in einem Zimmer schlief, das gleichzeitig Näh-, Bastel-, Eisenbahn- und Musikzimmer war für alle und Ausweich-Arbeitszimmer meines Vaters und Backraum meiner Mutter und Abstellraum für alles mögliche. Meine Schwester und ich schliefen in einem weiteren Familienraum ohne jede Privatsphäre.
Mein Bett war kein Bett sondern eine Couch, deren Rücklehne man abends herunterklappte, die mit 1,90 zu kurz für mich war und ausserdem noch Seitenlehnen hatte. Die Temperatur (es war immer kalt) wurde von meinem Vater bestimmt, die Läden beim Dämmrigwerden heruntergelassen – kann nicht in dunklen Räumen schlafen – und über dem Bett stand auf einem Bücherbrett eine Lampe mit einem schweren Lampenkopf mit 4 scharfen Lamellen, die eines Nachts auf mein Gesicht herunterfiel, weil in keiner Weise befestigt und wie ein Wunder mir nicht das Gesicht zerschnitt sondern nur eine Narbe auf der Oberlippe hinterliess, mit der ich bis heute gut leben kann. Musik war verboten. Als ich ein Teenager wurde, war das Haarewaschen ein Dauerstreitpunkt, sowie auch das Duschen, Im Bad und WC war Winters und Sommers das Fenster offen und die Heizung aus und man durfte unter keinen Umständen die Hände mit warmem Wasser
waschen. Ich bekam keinerlei Taschengeld, verdiente ab ca. 10 Jahre Zehnerle mit Frischmilchholen und ab 13 auf Veranlassung meiner Mutter mit Nachhilfe. Ab 15 arbeitete ich jede Ferien im Krankenhaus, wo mein Alter verschleiert wurde, ich brauchte das Geld. Zum Beispiel für Kleidung. Jeans waren ursprünglich verboten und ich durfte erst welche tragen, nachdem ich mit 14 und 3 Monaten von zu Hause weggelaufen, von Interpol gesucht und dann aber nur gefunden wurde, weil ich mich selber meldete, im dämlichen Glauben ich könne in London jetzt mein eigenes Leben leben. Jedenfalls empfinde ich meine Kindheit als eine gewalttätige, traumatisierende Hölle und als grauenhaft.
Mein Vater war jähzornig und gewalttätig. Mit fast einsachtzig ein mächtiger Mann mit einem Wohlstandsbauch und einem grauenhaften Temperament. Auch Schlägereien zwischen meinen Eltern kamen des öfteren vor.
Mein Vater schlug uns regelmässig ohne Rücksichtnahme, meine Mutter verteilte Ohrfeigen und nur ihr Liebling, mein kleiner Bruder, hatte später ihre Hilfe. Meine Stellung in der Familie war: das 5.Rad am Wagen: störend und unerwünscht. Ich dachte meine ganze Kindheit über, ich sei ein Adoptivkind. Meine Schwester sagte als Erwachsene zur Frau meines Bruders, ich hätte nie richtig zur Familie gehört, sei wie ein Fremdkörper gewesen.
Im Sommer 1974 zahlte meine Patentante, der einzige Mensch, der wirklich immer mich auch als Menschen geachtet hatte, mir einen Sprachaufenthalt nach England. Ich hatte schon mit 5 Jahren Sozialphobie und hasste die dirigierten Sonntagsspaziergänge in scheusslicher Kleidung und frierend durch unseren schwäbischen Vorort. Die Sozialphobie wurde natürlich auch nicht besser, und auf dem Sprachaufenthalt konnte ich absolut nicht mit den anderen Gleichaltrigen kommunizieren. Im vollen Bewusstsein dessen, dass ich niemandem fehlen würde und meine Quälerei auf der Welt absolut für die Katz ist, kaufte ich mir nach den Sommerferien in verschiedenen Apotheken jeweils eine Packung Schlaftabletten(Barbiturat). Eines nachts nahm ich über 100 Schlaftabletten an dem Schreibtisch, der nicht mein Schreibtisch war, sondern der der ganzen Familie, mit dem Rücken zu meiner schlafenden Schwester. Und wachte – sehr unzufrieden – Tage später auf der Intensivstation wieder auf. Mit einem Lungen- und einem Nierenschaden und einer kaputten rechten Hand (Druckgeschwüre von den Barbituraten).
Auf der neuen Schule gab es einen Lehrer, der mir recht gut gefiel und für den ich schwärmte. Schätzungsweise auf der ewigen Suche nach dem, was mir mein eigener Vater nicht geben konnte. Und nachdem ich wieder in der Schule war, nach Krankenhausaufenthalt und anschliessender ‚Erholung‘, geschah das, was nicht hätte geschehen dürfen.
Es kam dieser Lehrer auf mich nach einer Unterrichtsstunde zu und lud mich zu Kaffee und Kuchen zu sich und seiner Frau an einem Nachmittag ein. Ich hatte an einer anderen Schule bei einem meiner Lehrer schon Lateinnachhilfe gehabt und auch bei der Lehrerin einer anderen Schule Französisch, also kam mir das nicht besonders komisch vor. Ich war ja nun nicht grad die grosse Leuchte in den Fächern Deutsch oder Englisch und dachte an irgend etwas ähnliches. Meine Eltern hätten ihn darum gebeten, sich ein wenig um mich zu kümmern, sagte er noch. Jedenfalls schwärmte ich wohl wie ein Teenager eben so schwärmt für diese Typen, der immer mit Kombination zum Unterricht kam und durchaus charismatisch war und Witz hatte. Und jetzt erklär mir bitte mal einer, wie ein 63jähriger, impotenter Diabetiker, verheiratet, mit zwei erwachsenen Söhnen und tätig Im Schuldienst dazu kommt, nachdem seine Frau zu meinem Unbehagen nicht mit uns Kaffee trinken wollte, weil sie zur Schneiderin müsse, dazu kommt ein unaufgeklärtes, schüchternes und kontaktscheues Mädchen, seine Schülerin, von 17 Jahren dazu zu bringen, sich auszuziehen, auf seinen Teppichboden zu
legen und befummeln zu lassen?????????
Damit fing etwas an, was mir nicht wirklich gefiel und dem ich mich erst über ein Jahr später, dann mit über 18 bereits volljährig, wirklich entziehen konnte. Und was dann auch meine Depressionen, die ich seit der Kindheit hatte, verschlimmerte, meine Essstörungen verschlimmerte, die Bulimie begründete, die ich zehn Jahre lang hatte, und die meinen Körper und meine Organe schwer und dauerhaft angegriffen hat.
Ich konnte nie mehr etwas mit Männern wirklich ‚anfangen‘, lernte natürlich im Lauf der Jahre die Männern wichtigen Details, ekelte mich vor Sex, vor Männern in Badehose im Schwimmbad und versuchte Männer zu finden, die Freunde waren, ohne Sex, was nicht funktioniert. Hatte Probleme mit anderen Frauen – denn das Anderssein, was mich dann zeichnete – wird für den Rest der Welt einfach fühlbar, spürbar. Die Psychologen sagen zu Recht: Sexueller Missbrauch macht depressiv, begründet Suchtverhalten, bewirkt Verachtung des eigenen Körpers, verursacht promiskes
Verhalten…
Irgendwie kommt man da nicht wieder raus, es ist ein Kreislauf nach unten, eine Spirale. Heute 52, verlor ich meine letzte Arbeitsstelle vor fast exakt 15 Jahren und bin seit 10 Jahren erwerbsunfähig verrentet: PTBS und natürlich die Defekte meines Körpers nach fast 10 Jahren Bulimie.
Dann lebt man, wie viele andere Opfer auch, von geringen Mitteln und recht einsam.
Beides ist schwierig, bedingt sich auch gegenseitig…..
Was dieser Mensch mir antat, im Folgenden: heute weiss ich: er muss Erfahrung gehabt haben im Verführen minderjähriger
Schülerinnen. Am Wirtschaftsgymnasium hatte ich eine ‚Vorgängerin‘: Sabine, blond. Nie mehr sah ich sie mit ihm auf den Gängen, nachdem er mit mir ‚angebandelt‘ hatte. Eigentlich kann man doch als sicher annehmen, dass es viele Vorgängerinnen hatte. Nach irgendwelcher Zeit auf seinem Teppichboden sollte ich mich anziehen und gehen, denn seine Frau komme bald nach Hause. Aber ich solle ihm schreiben und er schreibe zurück, postlagernd an das Hauptpostamt, Bahnhof Stuttgart. Und in der Schule: nichts anmerken lassen.
Ich bekam über die Zeit etliche postlagernde Briefe und schrieb auch selber welche. Seine Briefe warf ich irgendwann als junge Erwachsene weg. Dachte, damit sei die Sache vergessen und erledigt.
Danach trafen wir uns ungefähr einmal in der Woche.
Der erste und ein gelegentlicher Treffpunkt war eine Strassenecke etwas ausserhalb des Zentrums, und dann ging es ganz schnell in ein kleines Café: Käsekuchen und Kaffee – er zahlte. Der Preis war, nachher, wenn es dunkel war, in heruntergekommenen Hauseingängen dieser Gegend seine Fummelei und diese grässlichen Küsse, die immer nach schwarzem Kaffee und Süssstoff schmeckten. Ich wusste mich jahrzehntelang nicht gegen die Begehrlichkeiten der Männer zu wehren, auch nicht gegen ihre körperliche und auch anderweitige Übergriffigkeiten, meine Lebensgestaltung betreffend. Und noch mit 52 habe ich Probleme damit, muss mir klar machen: mein Leben gehört MIR!
Ich musste schnell lernen, dass er Diabetiker sei und darum impotent. Das nächste Treffen war enies der Mineralbäder in Cannstatt, ich denke, es war das Berg – denn alleine ging ich gelegentlich ins Leuze und das hätte ich dann nicht mehr gemacht, wenn es dort gewesen wäre…eine Umkleidekabine, ich denke, die Wände zwischen den Kabinen waren gemauert, so dass man die Füsse in der Nachbarkabine nicht sehen konnte..das war nicht überall so, ich musste Fellatio machen, ohne überhaupt das Wort zu kenne, seinen Penis in den Mund nehmen und das Ejakulat schlucken. Mich danach befummeln lassen und mir sagen lassen, ich sei erregt, war mir schlcihtweg garnichts sagte. ich war in einer zwiespältigen Situation – das drumherum fand ich ekelhaft, aber des Mannes Charisma war schwer zu entgehen. Von seinen Kolleginnen wurde er hoch geachtet sowie auch vom Direktor.
Später gab es mal ‚Sex‘ im Sekretariat des Direktors der Schule, ich sollte in die Schule
kommen Nachmittags, natürlich, eine Stunde Strassenbahnfahrt, ihn vor dem Lehrerzimmer treffen, als sei ich ein Hiwi oder so was, mit ihm durch die ‚Aula‘ in den Sekretariatstrakt gehen, er müsse etwas kopieren…er musste nicht nur kopieren, er musste mir unter den Rock greifen und seinen Hosenstall öffnen, und er musste mich
küssen…und ich hatte nicht nur Abscheu sondern auch Angst…was, wenn uns jemand sieht.
Meine letzte Therapeutin meinte, dass es ihm vielleicht gar nicht unlieb gewesen war oder wäre, wenn irgendjemand etwas geahnt oder gemerkt hätte, dass sich die Männer mit so etwas ‚brüsten’… Auf die Idee bin ich selber auch in 51 Jahren nicht gekommen. Das dürfte so im Breuninger-Schwimmbad gewesen sein: Ein Schwimmbad auf dem Dach des Kaufhauses, mit Liegen aussen bei schönem Wetter, aber in diesem Winter waren die Liegen innen wichtig und die Kabinen auf hohen Füssen, wo uns einmal eine Badefrau erwischte und gegen die Türe auf der anderen Seite schlug…ich flüchtete mit Herzklopfen in meinen Gang und eine andere Kabine und traute mich kaum mehr heraus und ins Bad.
Er fand das alles vernachlässigbar, denn ansonsten sahen wir uns ja sowieso nur im Becken am Beckenrand.
Ich hatte Depressionen und besorgte mir in der Apotheke Johanniskraut. Er fand das irgendwie ‚in‘, das mit den Depressionen und versorgte mich mit Pornos. Zuerst bekam ich Josephine Mutzenbacher, dann anderes unlesbares Zeugs und dann Geschichte der O, mit der passenden Hintergrundstory.. Dann bekam ich gängige Pornohefte und er nahm mich mit ein ein Pornokino zu ‚deep Throat‘, in schwarzweiss, er war total begeistert und ich checkte nun wirklich gar nichts, ausser, dass da etwas warmes, menschliches neben mir sass, und gelegentlich auch mal meine Hand halten konnte…
Irgendwie war ich verhungert nach Liebe und Anerkennung und nach Zuneigung. Da ist man sowieso immer eine gute Beute, nicht nur als weiblicher Teenager.
Manchmal kam er zu den Treffen mit seinem Auto – er fand das praktisch, logisch, dann konnte er mich dort befummeln, man musste nur einen dunklen Parkplatz finden, aber er könne seiner Frau nicht gut erklären, warum er mit dem Auto in die Stadt fahre, wo man ja sowieso keinen Parkplatz findet. Einmal schneite es. Wir standen auf der Strassenseite des Eingangs in die Landesbibliothek. Der Schnee bedeckte den Gehweg,die Strasse und die Frontscheibe: genug Privatsphäre um mir die Bluse aufzuknöpfen und mich zu veranlassen, meinen Rock auszuziehen.
Die Verabredungen kamen meistens per Buch, ich bekam nach der Unterrichtsstunde ein Buch ausgeliehen oder ‚pro Forma‘ und da stand irgendetwas verschlüsseltes drin, so wie ‚cafe 15‘, was hiess, Ecke zu dem schummrigen Café um 15 Uhr. War sowieso meist um 15 Uhr. Das war seine ‚Stadtgehzeit‘. Ich habs auch mal übersehen, dass was in dem Buch stand, und er fragte mich, wo ich den gewesen sei, er habe gewartet. Manchmal kamen die Verabredungen auch per Brief. Aber ich war auch oft umsonst am Schalter der Hauptpost im Bahnhof. Leider ??? kann ich mich nicht mehr erinnern, was er alles schrieb, war allerdings auch recht unleserllich und ganz sicher nicht weltbewegend. Vielleicht kommts auch mal hoch, vielleicht bleibts auch immer im Vergessenen. Sein einziges Thema war sowieso SEX, SEX, SEX….
Gewalttätig war er nicht, an sich. Wen es nicht genügend Gewalt ist, sich von einer 17jährigen, wie oben beschrieben und solchen und anderen Umständen einen Fellatio machen zu lassen….
Er hatte jedenfalls ne Menge profitiert davon, würd ich mal sagen, ich eher nicht.
Noch mehr Entfremdung von Gleichaltrigen und deren Interessen, noch mehr Einsamkeit, die Angst vor Entdeckung und die Scham und dann natürlich die ganzen psychischen Folgen, die nun viel, viel länger dauern als diese ganze schmuddelige Sache selber.
Eines Tages, ich war schon 18 gewesen, also ein Jahr oder mehr nach dem Beginn zog er mich an einem dunklen Abend, an dem wir uns nur getroffen hatten, um zu reden (das war MEIN Ding – nur reden), in einen Seitenweg des Herdweg, oberhalb der Bahngeleise, er müsse mir etwas zeigen, dann hielt er mich fest und wollte mich küssen.
Ich wollte nicht, aber auch keinen Ärger und brachte es fertig, mich der Sache zu erwehren, und zurück auf den Herdweg zu gehen. Das war das letzte Mal, dass ich ihn unter 4 Augen sah.
Irgendwann kam er nicht mehr in die Schule – die Kunde ging, er sei krank.

Eva Franck