Die Presse 17.08.2010

GASTKOMMENTAR VON ANDREAS KIRCHMAIR (Die Presse)

Papst und Kirche haben die Chance, der Welt ein Beispiel zu geben, wie sie mit Missständen im Klerus umgehen.

Wenn es um diese Kirche geht, ist viel Emotion im Spiel. Verallgemeinernde und unsachliche Angriffe auf der einen, Mauern und Abtäuschen auf der anderen Seite, lauten die gegenseitigen Vorwürfe. Stimmt beides. Zunächst einige Beobachtungen:

„Österreich, das ist die kleine Welt, wo die große ihre Probe hält.“ Der sexuelle Missbrauch von Kindern durch Priester ist bei uns ja nur der letzte in einer Reihe von Vorfällen in den letzten 15 Jahren. Hat man aus den Fällen von Pädophilie und Homosexualität in kirchlichen Einrichtungen denn in Europa noch immer so wenig gelernt? Gibt es überhaupt eine „Innenrevision“ der (Orts-)Kirche? Und warum hat man heute immer noch den Eindruck, die Kirche würde erst durch öffentlichen Druck und nicht aus eigenem Antrieb aktiv?

Zuerst vor der eigenen Türe kehren. Alle Sünden, die die Kirche unserer heutigen Gesellschaft vorhält, finden sich in einem gewissen Maß unter ihren eigenen Priestern abgebildet: Kinderschändung und Homosexualität, Untreue und Kinderabtreibung. Aber anstatt endlich konsequent vor der eigenen Türe zu kehren und diese Missstände abzustellen, selber umzukehren und damit der Welt ein Beispiel zu geben, redet man jedesmal von einem Angriff der „Welt“ und der „bösen Medien“ und versteckt sich hinter Gott.

Aufhören, mit zweierlei Maß zu messen.Was da innerkirchlich abläuft, ist in mehrfacher Hinsicht unerträglich: Einerseits der Kindesmissbrauch und andererseits das Vertuschen und Verleugnen. Beides schreit zum Himmel. Nicht nur katholische Laien stört der Eindruck, die Kleriker können sich (ähnlich wie die Ärzte) durch die eigene Gerichtsbarkeit (Kirchenrecht) alles untereinander regeln. Und es werde mit zweierlei Maß gemessen („eine Moral fürs Volk, eine andere für die Priester“).

Der Klerus ist gefordert

Worum geht es in der Sache?
1. In erster Linie geht es um den Klerus. In der Führungsriege der katholischen Kirche herrschen teilweise schwere Missstände. „Unverkennbar gibt es heute in Teilen der Kirche ein Pharisäertum wie zur Zeit Jesu“, sagte der bekannte Journalist Peter Seewald vor mehreren Monaten in einem Interview über seine damals erschienene und vom Papst gelobte Jesus-Biografie. Und weiter: „Ich bin überzeugt, dass die Krise der Gesellschaft ihren Grund hat in einer Krise des Christentums – und nicht umgekehrt. Wohin es gehen kann, wenn das Christentum versagt, wurde uns in den dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte vor Augen geführt.“

2. Man versteckt sich hinter Kirchenrecht und Gott. Das Begrapschen und Missbrauchen (zumeist) von Buben durch erwachsene Priester, denen diese Kinder von deren Eltern anvertraut wurden, ist ein Verbrechen, das bisher kirchenintern nicht gerecht sanktioniert wurde. Eine Krise wurde daraus erst durch das jahrzehntelange und systematische Vertuschen. Denn damit wurden zunächst der ganze Klerus und dann auch noch „die Kirche“, also auch die Laien, in Geiselhaft genommen. Beim Bußgottesdienst in der Karwoche hat Kardinal Schönborn sogar versucht, Gott als Geisel zu nehmen („Ich bin wütend, Gott“).
3. Kritik und Klagen werden systematisch abgeschmettert. Wer schon einmal versucht hat, innerkirchlich einen Missstand im Klerus aufzuzeigen, kennt das Gefühl, dort gegen eine Mauer zu rennen und im Kreis geschickt zu werden, bis man müde wird. Kritik gilt als Majestätsbeleidigung, niemand will dort zuhören. Den Kritikern wird zudem gerne unterstellt, sie seien Vernaderer und würden „die (ganze) Kirche“ angreifen. Diese Haltung von Priestern hat eine Lebensschützerin so zusammengefasst: „Sie schützen nicht die Opfer (ungeborene Kinder, bedrängte Frauen), sie schützen nur sich selbst.“

Demzufolge sind vier unterschiedliche Themen zu bearbeiten:
•Rasche Entschädigung der Opfer – fromme Worte sind zu wenig, da gilt nur mehr die Tat.
•Klare kircheninterne und rechtliche Konsequenzen gegenüber den Tätern und jenen Bischöfen und Äbten, die diese Verbrechen vertuscht haben.
•Aufarbeiten weiterer Fälle von Missständen im Klerus (z.B. Freundinnen, Priesterkinder).
•Transparente kircheninterne Maßnahmen, um zukünftig Missstände im Klerus melden und abstellen zu können.

Ja, es wäre höchste Zeit, endlich alle Missstände im Klerus auf den Tisch zu legen, um einen nachhaltigen Reinigungsprozess einzuleiten. Das bisher Aufgedeckte dürfte noch lange nicht alles sein.

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