neues-deutschland.de 17.09.2010

Thema: Leitlinien der katholischen Kirche gegen sexuellen Missbrauch
Es debattieren: Andrea Fischer, Jahrgang 1960, von 1994 bis 2002 für Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag und Prof. Dr. Uta Ranke-Heinemann, Jahrgang 1927, die erste Frau der Welt, die eine Professur für katholische Theologie erhielt (1970) und die erste Frau der Welt, die sie wieder verlor (1987) und Dr. Hans Langendörfer, Jahrgang 1951, Jesuit und Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz (DBK).

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Von Uta Ranke-Heinemann
Das Konzil von Trient, bis heute wesentliche Grundlage katholischer Lehre, erklärte 1563: »Wenn jemand sagt, es sei nicht besser und gottseliger, in der Jungfräulichkeit und dem Zölibat zu bleiben, als zu heiraten, der sei verdammt.« Die katholische Kirche, vor allem die beiden letzten Päpste Benedikt XVI. und Johannes Paul II., sind in ihrer Frauen- und Sexualfeindlichkeit damit beschäftigt, Gott, den Urheber des Universums, zu korrigieren, der Mann und Frau erschuf, denn »es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei«, wie es am Anfang der Bibel heißt. Pädophilie ist die Gefahr einer monosexuellen Kirche, der in 2000 Jahren zwar die Vertreibung der Frauen, aber noch nicht die Entsexualisierung geglückt ist. Und solange zwangsentsexualisierte Priester mit Männern, Frauen, Jugendlichen und Kindern in dunklem Beichtstuhlgewisper vereint sind, wird sich der Beichtstuhl immer mehr zur Kontaktbörse für Sexualneurotiker entwickeln, in dem auch Pädophilie nicht ausgeschlossen werden kann, und sollte darum für Kinder und Jugendliche verboten werden.
Es stehen Reformen in der Kirche an, aber sie werden nicht erfolgen. Denn die Unfehlbarkeit der Vorgänger-Päpste hindert das selbstständige Denken der Nachfolger-Päpste. Die katholische Situation ist wegen der Frauen- und Sexualfeindlichkeit total verfahren. Die beiden größten Kirchenspaltungen (zwischen Ost- und Westkirche 1054 und anlässlich der Reformation Martin Luthers um 1520) sind wegen des Zölibats erfolgt. Danach hat die fanatische Einschärfung des Zölibats seitens der Gegenreformation dazu geführt, dass in wachsendem Maße Homosexuelle den höheren Klerus übernommen haben, die den Zölibat bestimmt nicht abschaffen werden, um jetzt plötzlich zu heiraten. Daher wird es eine Spaltung zwischen dem Klerus ganz oben und den Leuten ganz unten geben: Oben die Hirten, unten die Schafe. Alle Hirten sind Männer, alle Frauen sind Schafe. Die Frauen und die verheirateten Männer werden die Kirche in Scharen verlassen. Aber die Kirche bezeichnet das als »Gesundschrumpfen« und stützt sich jetzt auf Afrikas und Südamerikas ärmere Staaten, wo schon jetzt die Priesterseminare nicht mehr in der Lage sind, alle Priesteranwärter aufzunehmen.
Dass die Reformation Luthers vor allem eine riesige Antizölibatsbewegung war, hören die Theologen nicht gern. Für die lutherischen Theologen bestand der Unterschied Luthers zur Papstkirche in der Rechtfertigungslehre, die aber den normalen Christen heute nicht mehr interessiert und von der er nicht einmal mehr weiß, was sie eigentlich bedeutet. Für die Katholiken damals und heute gehört die Zölibatsfrage nicht zur Sache – dafür aber sehr wohl zur Nebensache, an der sie bisher jede Einigung scheitern ließen. »Der Zölibat bleibt«, das war die erste Botschaft seitens meines neuen Ruhrbischofs Franz-Josef Overbeck. (Die Kirche exkommuniziert die Ketzer, aber sie schließt sie nie aus der Kirche aus, und die Entsorgung durch den Scheiterhaufen ist ja im Moment nicht möglich. Ich bleibe also ein Schaf des Bischofs). Diese Frohbotschaft geschah zur vorigen Weihnachtszeit und stand mit Großbuchstaben in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. (…)

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