Ein Kommentar von netzwerkB zur Bergmann-Kampagne

Von Amos Ruth

Frau Bergmann hat eine Kampagne vorgestellt, mit der bisher schweigende Opfer von Gewalt und Missbrauch zum Reden über den Missbrauch aufgefordert werden. Die Kampagne wird in den Pressemitteilungen mit vielen Argumenten und Zielen – deren Qualität hier nicht zu untersuchen ist – beworben. Auf eine Frage findet sich jedoch keine Antwort: Warum gerade jetzt?

Das Geschehen des Missbrauchs ist ein Altbekanntes. Auch die Folgen von Missbrauch sind altbekannt. Notwendige oder mögliche Maßnahmen gegen die Folgen sind nicht erst in den letzten Tagen wie eine Offenbarung vom Himmel gefallen. Die zum Missbrauch führenden oder sie begünstigenden Strukturen sind ebenfalls seit langem nicht mehr geheim. Alle diese Dinge können nicht die Terminierung der Kampagne begründen. Es darf also ein anderer Grund für die Terminierung der Kampagne als gegeben gesetzt werden.

Betrachten wir die Lage:
Die Institution Kirche ist durch das Aufdecken von Missbrauch von Kindern durch Kleriker in eine heikle Situation geraten. Es hat kein außerhalb der Institution Kirche stehender Missbrauchender gegenüber anderen Menschen so hohe moralische Maßstäbe gesetzt und eingefordert, wie es Kleriker im Namen der Institution Kirche getan haben. Niemand ist folglich so tief gestürzt wie die Kleriker und ihre Institution, wenn alle auf gleicher Höhe aufgeschlagen sind. Die Krise ist massiv, dennoch ist die Existenz der Institution Kirche nicht in dem Maße bedroht wie es die Existenz der Opfer durch die Taten war und immer noch ist. Daher steht die Institution Kirche mit vollem Recht im Scheinwerferlicht, auch wenn sie so verzweifelt wie erfolglos versucht, viele andere mit in dieses Licht zu zerren und sich so zu verstecken hinter der Masse der Missbrauchenden. Dem Anspruch des Sonderstatus im Guten entspricht die Zuweisung eines Sonderstatus im Bösen; ein Heuchler, der hier Ungerechtigkeit findet. Nach all dem kann sich die Kirche letztlich nicht der Notwendigkeit entziehen, Entschädigungszahlungen zu leisten.

Für einen Leistenden ist nicht die Höhe der Einzelentschädigung von Interesse. Ökonomisch wichtig ist allein die zu zahlende Gesamtsumme. Da die Gesamtsumme das Resultat aus der Anzahl der Einzelzahlungen und ihrer Höhe ist, wird kein Ökonom über eine Lösung glücklich sein, die aufgrund fehlender Kenntnis einer Rechengröße (die Anzahl der Einzelzahlungen) unkalkulierbar ist. Ökonomisch folgerichtig ist die Festlegung eines in der Höhe nicht überschreitbaren Etats, der dann in Einzelentschädigungen aufzuteilen ist. Auch hier ist es notwendig die Zahl der vorzunehmenden Entschädigungen zu kennen, jetzt für die Festlegung der Entschädigungshöhe. Das Problem besteht somit in jedem Fall in der Unkenntnis der konkreten Zahl der Missbrauchten.

Die Bischöfe sitzen in dieser Woche in Fulda zusammen. Tagesordnung ist die Reflektion über das Problem des Missbrauchs. Wenn sich die Herren im Klaren darüber sind Zahlungen nicht ausweichen zu können, liegt nahe, den Etat für Zahlungen festzulegen. Der Druck in Richtung auf eine Entscheidung ist groß, eine Verzögerung steigert unweigerlich die Wut, die ohnehin schon in den Menschen ist.

Soll diese Entscheidung gemäß dem ständigen Verkünden der Kirchenoberen am Runden Tisch fallen, so muss einer der nächsten Sitzungstermine, möglicherweise der am 01.12.2010 genutzt werden. Bis dahin muss also die Zahl der Missbrauchten bekannt sein, ist doch nur dann die Höhe der Einzelentschädigung einem beschlossenen Etat anzupassen. Die Kampagne selbst ist geeignet, als endgültige Aufforderung an die Opfer interpretiert zu werden, sich zu melden. Auf ihr kann leicht eine Ausschlussfrist begründet werden. Ergebnis: Die Zahl der Entschädigungszahlungen wäre dann bestimmt durch die Zahl der Meldungen bis zur Ausschlussfrist.

Die Jesuiten haben das Beispiel gegeben: Sie kennen mit dem Abschlussbericht zu ihrem Orden die Zahl `ihrer´ Missbrauchten. Folgerichtig konnten sie eine Summe benennen – und haben es mit reumütiger Gestik und medialem Geschick mit dem Stolz des Vorangehenden auch getan.

Somit ist weder die Kampagne in ihrer Art zufällig noch ist es ihre Terminierung. Beide sind Konsequenz der Lage und als solche notwendig aus Sicht von Kirche und Staat, nicht aber aus Sicht von Opfern. Ihnen wird wiederum ein äußerer Wille aufgezwungen, sie werden – wieder einmal – von den Missbrauchenden benutzt.

Der geführte Gedankengang weist die Kampagne wie die Höhe der Entschädigung als ausschließlich ökonomisch bestimmt aus: Es muss mit möglichst wenig Aufwand der größtmögliche Effekt erzielt werden – wenn schon ein Aufwand als unumgänglich gesehen wird. Das Interesse von Opfern, deren Situation oder Empfinden, gar der Gedanke an Gerechtigkeit oder Moral spielen bei all dem nicht die geringste Rolle. Folgerichtig sitzen die Opfer nicht am Runden Tisch – sie würden nur stören.