netzwerkB 1.10.2010

von Amos Ruth

Die Vertreter der katholischen Kirche haben auf der Sitzung des `Runden Tisches´ am 30.09.2010 das nach dem Abschluss der Herbstversammlung der deutschen Bischöfe von diesen angekündigte Konzept vorgelegt, wie sie mit den Opfern des sexuellen Missbrauchs zu verfahren gedenkt. Von eben diesen Opfern schlägt diesem Konzept ein so starkes wie diffus begründet erscheinendes Misstrauen entgegen.

Daher soll im Folgenden versucht werden, zumindest einige Aussagen zu ordnen und einzuordnen; für eine vollständige Analyse fehlt auch hier der Platz. Basis ist dabei einerseits die Pressemeldung der Bischofskonferenz (DBK) Nr. 158 vom 30.09.2010 und der Artikel der Frankfurter Rundschau (FR) `Für das Leid hat die Kirche „xx-Euro“ übrig´, der ebenfalls vom 30.09.2010 datiert.

Das Modell sieht die Übernahme der Kosten für Psychotherapie oder Paarberatung vor. Die konkretisiert diese Zahlungen durch ihre Begrenzung auf 4.250 € für die Psychotherapie und 2.500 € für die Paarberatung. Die Zahlungen werden als `freiwillig´ bezeichnet. Eine Verpflichtung zur Zahlung sieht die Bischofskonferenz folglich nicht. Es soll somit keinen Anspruch auf Zahlung geben, sondern sie stehen allein im Ermessen von Kirche. Sind die Zahlungen aber freiwillig, kann die Kirche Bedingungen an die Zahlungsmöglichkeit stellen, ohne dass die Erfüllung dieser Bedingungen eine Zahlungspflicht nach sich ziehen kann. Die DBK nutzt diese Möglichkeit, setzt sie doch die Bedingung

  1. des `akuten Bedarfs´,
  2. der Nichtzahlung oder Nicht-Mehrzahlung der Krankenkassen oder anderer Kostenträger,
  3. der Approbation der Psychotherapeuten,
  4. der Vorlage eines Behandlungsplans und schließlich
  5. die Vorlage einer eidesstattlichen Erklärung zum Geschehen des Missbrauchs durch den Missbrauchten.

Die Bedingungen 1. und 2. (die Analyse der weiteren Bedingungen fällt dem Platzmangel zum Opfer) stellen auf die Situation des Missbrauchten jetzt und in der Zukunft ab und damit auf die Folgen des Missbrauchs, nicht aber auf den Missbrauch selbst. Die Behandlung einer Erkrankung und deren Folgen ist im geltenden Rechtssystem Aufgabe der Solidargemeinschaft in Form von Krankenkassen, die als Kostenträger gefordert sind (weitgehend) unabhängig von Anlasse und Ursache der Erkrankung. Das Angebot der DBK nutzt diese Rechtssituation, in dem sie die Krankenkassen, damit die Solidargemeinschaft in die Verantwortung, sich selbst aber als Verursacher oder Rechtsfolgers des Verursachers der Erkrankung in subsidiäre Funktion stellt: Nur, wenn die Solidargemeinschaft ausgeschöpft ist und nur dann, wenn dennoch Bedarf besteht, ist der Rechtsnachfolger des Schadensverursachers vielleicht(!!) bereit, einzutreten. Dieses Vorgehen läuft der geltenden Vorstellung von Gerechtigkeit und auch des Rechtsprinzip der Verursacherhaftung genau konträr, zielt doch das rechtsbekannte und rechtsimmanente Verursacherprinzip eben darauf, einen Schaden und dessen Folgen, die einer Rechtsperson zuzuordnen sind, eben von dieser ausgleichen zu lassen, soweit er dazu in der Lage ist und erst nach Erschöpfung der Möglichkeiten des Verursachers den Staat oder – wie hier – die Solidargemeinschaft heranzuziehen.

Damit ist ein zweites Feld eröffnet: die Höhe der Zahlung.

Die Schadenshöhe selbst und die Höhe der Schadensfolgen bemessen sich niemals nach den Möglichkeiten oder dem Wollen des Schädigenden. Die Höhe jeglicher Zahlung kann sich somit nicht nach dem Wollen des Schädigenden richten, sondern sie richtet sich ausschließlich nach dem angerichteten Schaden und der Schadensfolgen selbst. Inwieweit der Schädigende für den Ausgleich des Schadens in Anspruch genommen werden kann, richtet sich nach dem Potential des Schädigenden und ist, wenn sie in Form einer `Anstalt´ oder einer `Korporation´ von Personen ist, nach der Höhe des Gesamtvermögens, wenn sie Person ist, nach der Höhe des Gesamtvermögens abzüglich der Mittel zum Erhalt des Lebens auf minimaler materieller Ebene.

Eben dieser Anforderung entzieht sich Kirche, eben aus dieser Anforderung, die für jede einfache Person und somit auch für jede missbrauchte Person selbstverständlich und für jede Firma (zumindest grundsätzlich) gilt, wird Kirche entlassen, wenn der `Runde Tisch´ zur angestrebten Urteilsfindung gelangt. Sie wird aus ihr entlassen, ohne eine wie immer geartete Rechtsverpflichtung einzugehen. Die säkularen Mitglieder des `Runden Tisches´ entsprechen damit der Rechtsaxiomatik der katholischen Kirche, die es nicht zulässt, von Seiten der Kirche eine Verpflichtung gegenüber Laien einzugehen.

Der Codex iuris canonici verpflichtet jeden Kleriker und auch jeden Laien in erster Linie zum Wohl der Kirche. Allen ist es erst dann erlaubt, das eigene Wohl zu bedenken, wenn und soweit das Wohl von Kirche gesichert ist. Insoweit ist allein das Markieren eines Schadens durch Laien gegenüber der Kirche, noch mehr das Erheben von Ansprüchen gegen die Kirche durch Laien ein schwerer Verstoß gegen die Pflichten des Laien.

Der Hinweis auf des Dr. Zollitsch auf die an die DBK herangetragene `Bitte´ ist somit keineswegs rhetorische Klausel, sondern harte Markierung und Durchsetzung des eigenen Rechtssystems.

In diesem Zusammenhang aber wiegt schwerer, dass sich die säkularen Beteiligten des Runden Tisches dem Rechtssystem der Kirche beugen, obwohl es die Gültigkeit des staatlichen Rechts dann negiert, wenn das Wohl der Kirche durch staatliches Recht beeinträchtigt würde.

Wenn Dr. Zollitsch die Möglichkeit sieht, in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern zu einer gesamtgesellschaftlichen Lösung zu kommen, dann ist zumindest auch der Schluss zulässig, dass andere Länder, andere Gesellschaften nicht zur bedingungslosen Unterordnung unter ein ihr originär fremdes und konträres Rechtssystem bereit waren und sind.

Die DBK erklärt sich im Angebot `zur materiellen Anerkennung von Leid´ bereit. Auch diese Bereitschaft bewehrt sie mit Bedingungen:

  1. die Opfer müssen die Anerkennung wünschen,
  2. darf ein Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld nicht durchsetzbar sein,
  3. ist die Zahlung nur dann möglich, wenn der Verursacher nicht zahlen will oder nicht zahlen kann.

Die FR weist stark auf die Verwendung des Begriffs der `Anerkennung von Leid´ hin, der an die Stelle der Entschädigung treten solle. Schauen wir uns die Bedingungen näher an.

Wenn Zahlungen nur dann überhaupt in Frage kommen, wenn die Missbrauchten die Anerkennung des Leides wünschen, so ist damit eben nicht die Anerkennung einer Zahlungspflicht verbunden. Im Gegenteil wird die Zahlung vom Wunsch der Missbrauchten abhängig gemacht. Dieser aber kann, soweit er römisch-katholischer Christ ist, eine solche Zahlung nicht wünschen, widerspricht er doch damit den ihm vom Rechtssystem der katholischen Kirche auferlegten Pflichten. Wünscht ein Missbrauchter eine Zahlung von Kirche, setzt er sich notwendig selbst ins Unrecht. Damit ist aber eine entscheidende Weiterung verbunden: Wird der Wunsch erhoben auf Anerkennung des Leides durch eine Zahlung, so würde die tatsächliche Zahlung durch Kirche zwingend die Anerkenntnis einer ihrem Rechtsverständnis nach unrechten, sündigen Tat bedeuten. Sie ist aber zu heilen, d.h. von der Sünde zu befreien beauftragt, nicht jedoch zur Förderung der Sünde ermächtigt oder gar verpflichtet. In der Logik dieses Faktums liegt

  1. die Ablehnung jeglicher Zahlung an die Missbrauchten und
  2. die Generierung von Kirche zum Opfer eines Unrechts an ihr, die möglich ist selbst dann, wenn die Kirche zahlt.

Urheber des Unrechts sind dann einerseits die Anerkennung Wünschenden selbst, zum anderen aber auch die Mitglieder des `Runden Tisches´, die Kirche zum Handeln gegen deren eigene Überzeugung bewogen, genötigt haben.

Die DBK wollen, so die FR, den Begriff Entschädigung vermeiden. Offenbares Ziel ist es, die mit dem Begriff `Entschädigung´ verbundenen Rechtsfolgen innerhalb des säkularen Rechtssystems zu vermeiden. So ist Maßstab einer Entschädigung nach deutschen Rechtssystem die Art und der Umfang des angerichteten Schadens, deren Ersatzpflicht sich nach dem Vermögen des Schädigenden bemisst und auf dessen Aufgaben und Existenz – soweit es nicht um natürliche Personen geht – keine Rücksicht nimmt. Auch wird mit dem Begriff der `Anerkennung des Leids´ jegliche Zahlung aus dem Umfeld des Begriffs `Strafe´ herausgeholt. Die Strafbemessung des säkularen Systems ist, anders als die Entschädigung, am Willen des Schadenden zur Schädigung, andererseits dem Einkommen und dem Vermögen des Straffälligen proportional. Beides – Strafe und Maßstab der Strafzumessung – kann Kirche nicht nur nicht wollen, beides ist innerhalb ihres Rechtssystems unmöglich. Von hierher lässt sich einerseits die Bedingung der Freiwilligkeit herleiten, andererseits aber auch der Rückgriff auf andere entschädigungspflichtige Institutionen, die als Rücksicht auf diese Institutionen und Akt der Gerechtigkeit gegenüber `deren´ Geschädigten deklariert wird. Ein solcher Rückgriff ist notwendig, wäre ansonsten doch das am `Runden Tisch´ zu findende Modell, `wie Opfer sexuellen Missbrauchs materielle Hilfe erhalten können´, ein allein von Kirche zu definierendes Modell und somit ohne jegliche weitere Diskussion und Besprechung sofort umsetzbar: Niemand hindert die Kirche daran, die Leiden der Missbrauchten anzuerkennen.

Mertens SJ hat ohne Widerspruch zu finden gefordert, Entschädigungen müssten für die Kirche schmerzhaft sein. Mit dem Rückgriff auf `weniger finanzkräftige´, dennoch zahlungspflichtige Organisationen unter Bezug auf die Gleichbehandlung der Missbrauchten, die aus Gründen der Gerechtigkeit geboten ist, macht die Kirche sich den Maßstab das finanzielle Schmerzempfinden der finanzschwächsten Organisation zum Maßstab eigenen Schmerzempfindens. Der Widerspruch zur alltäglichen Erfahrung ist offenkundig: Eine Zahlung von 1000 € sind für einen Bezieher niedrigen Einkommens mit Sicherheit schmerzhaft, für einen Millionär jedoch wahrscheinlich nicht. Selbst wenn aber ein Millionär die Summe von 1000 € als schmerzhaft empfindet, so ist dieses Schmerzempfinden sein originäres, somit nicht geliehenes Empfinden und somit von ihm selbst heraus begründbar. Auf die Kirche übertragen bedeutet dass, dass Kirche die Höhe ihrer Zahlungen aus sich selbst heraus herleiten und auch begründen müsste, somit auch die Prämissen Ihrer Entscheidung offen zulegen gezwungen wäre: ihre Finanzkraft.
Dieser Notwendigkeit entgeht sie, wenn sie einerseits andere Organisationen als finanzschwächer annimmt und somit ihnen die Offenlegung ihrer Finanzkraft überlässt, andererseits sich aber deren Entscheidungen anschließt. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Rücksichtnahme auf andere Organisationen allein egoistisch motiviert: Es geht weder um die anderen Organisationen noch um die Gerechtigkeit gegenüber den Opfern noch um die Missbrauchten selbst. Es geht um das Wohl der Kirche, hinter das einerseits alles zurückstehen muss, das aber auch alle offenen und verdeckten strategischen und taktischen Schachzüge, ob moralisch oder nicht, ob wahrhaftig oder nicht, nicht nur rechtfertigt, sondern fordert.

Ein letzter Hinweis ist notwendig. Die Vermeidung des Begriffs `Entschädigung´ für freiwillige Zahlungen erzwingt den Schluss, dass Zahlungen keine Entschädigungen sind. Andererseits impliziert eine Zahlung zur Anerkennung des Leids die Anerkennung eines Schadens, eben des Leides. Damit aber wird der Anspruch auf Ersatz des Leides rechtlich, zumindest aber moralisch umso berechtigter wie auch drängender.