taz.de 29.11.2010

Als erster katholischer Bischof Deutschlands bekannte Franz-Josef Bode von Osnabrück die Mitschuld der heiligen Kirche an sexuellen Übergriffen ihrer Mitarbeiter.

VON ANNE REINERT UND BENNO SCHIRRMEISTER

Mit einer Geste der Karfreitags-Liturgie tut Osnabrücks Bischof Franz-Josef Bode am ersten Advent Buße. Foto: dpa
Lang hingestreckt, die Hände vorm Gesicht, liegt Bischof Franz-Josef Bode vor dem Triumphkreuz. Das hängt überm Altar des Osnabrücker Doms. Bestimmt eine Minute verharrt er in dieser Haltung, und Stille herrscht.

Prostratio, Unterwerfung, nennt die katholische Liturgie diese Maximal-Geste. Karfreitag, der Todestag Jesu, ist ihr fester Platz in deren Jahreskreis. Sie bedeutet Trauer, Buße und Ohnmacht vor Gott. Der erste Adventssonntag hingegen ist theologisch ein Fest der Freude und des Aufbruchs. Er heißt „Ad te levavi“, also „Ich erhebe mich zu dir“. Er eröffnet das neue Kirchenjahr, und zwar traditionell mit allem Pomp, Latein, Weihrauch und viel Orgelgetös.

Doch statt eines feierlichen Hochamts gabs am Morgen eine schlichte Messe und abends diese Andacht, und das komme „nicht von ungefähr“, sagt der Bischof. Einen Weg zum Weihnachtsfest könne es nicht geben, „ohne all das mitzunehmen, was uns in den vergangenen Monaten bewusst geworden ist“, so führt er in den Bußgottesdienst ein. Mit dem legt Bode ein Schuldbekenntnis zu den Fällen sexuellen Missbrauchs ab – stellvertretend für die Institution Kirche, die der Bischof in seiner Diözese verkörpert.

Die Anregung dazu stammte aus dem Priesterrat, sie findet den Zuspruch der Laien: Über 600 Menschen sind zur Andacht in den Dom gekommen. Bode bezeugt als erster katholischer Bischof Deutschlands auf diese Art eine Mitschuld der Kirche, die sich selbst als heilig versteht, an sexuellen Gewalttaten ihrer Mitarbeiter. Schon im Sommer hatte Bode sich per Brief bei den Opfern entschuldigt. Im Bistum Osnabrück ist von 28 Hinweisen auf insgesamt 21 Fälle die Rede – von der Kindszüchtigung bis zum Verdacht auf Vergewaltigung. Ähnliche Werte stammen aus der Diözese Hildesheim. Hoch bleibt überall die Dunkelziffer: Im Erzbistum Hamburg spricht man von „Vorfallsanzeigen“ gegen zehn Priester, ein Verdachtsfall sei unhaltbar gewesen. Belastbare Zahlen erwarte man, „wenn die Bischofskonferenz die statistischen Kriterien ausgearbeitet hat“, so ein Bistums-Sprecher.

Der Bußgottesdienst verläuft schlicht. Es gibt kein Evangelium, keine Eucharistiefeier. Schweigend ist das Domkapitel zuvor in die Kirche eingezogen. Der Bischof trägt einen violetten Chormantel mit schwarzer Stola, verzichtet hat er auf Insignien wie den Stab. Wichtigster Teil des Gottesdienstes ist das Bekenntnis-Gebet. Den Rücken zur Gemeinde spricht Bode darin von der „Scham und Erschütterung über die schweren Verfehlungen“. Denn „einen Nährboden und ein Klima“, in denen diese „gedeihen konnten“, habe die Kirche selbst und „besonders die Verantwortlichen in ihr“ geschaffen. Brüchig klingt die Stimme, als der Bischof sagt: „Um des Ansehens der Kirche willen wurden Täter geschützt und Opfer ein zweites Mal geopfert.“ Danach kniet er nieder und die Gemeinde mit ihm. „Das ist ein Bekenntnis vor Gott“, hatte Bistumssprecher Hermann Haarmann die Intention der Andacht im Vorfeld erläutert.

Klar, dass sie dennoch auch als kirchenpolitisches Signal verstanden – und kritisiert wird. Erwartbar schrille Anwürfe hagelte es aus dem katholisch-rechtsextremistischen Spektrum, wo Bode des „Missbrauchswahns“ geziehen wird. Schwerer wiegt, dass auch Opfer die Geste für wenig glücklich halten: Ein Betroffener postete im einschlägigen Internet-Forum „netzwerkB“ einen offenen Brief. Der weist darauf hin, dass auch Opfer, wenn sie am Gottesdienst teilnähmen, um Vergebung bitten würden, ebenso wie jene, die wirklich „Schuld auf sich geladen haben“. Wäre diese Person also, fragt der Autor, „schuldig, weil sie missbraucht wurde“? Zugleich mahnt er an, dass „der einfachste Weg“ vermieden worden sei – nämlich das direkte Gespräch „unter vier oder sechs Augen“.

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