DIE ZEIT 28.04.2011

Beten statt helfen

Wie Papst Johannes Paul II mir einen niederschmetternden Brief schrieb

Ich bat Papst Johannes Paul II um Hilfe, als ich nicht mehr weiter wusste. Damals kämpfte ich um die Anerkennung als Missbrauchsopfer. Im November 2003 hatte mir das Bistum Magdeburg endlich eine Entschädigung zugesichert, bestand jedoch auf einer Schweigeklausel. Man verlangte von mir, dass ich über den systematischen Missbrauch durch zwei Täter der katholischen Kirche schweigen sollte, die meine Kindheit und Jugend zerstört hatten. Als Ministrant und Chorsänger war ich ihnen über Jahre sprachlos und wehrlos ausgesetzt. Ich hatte 35 Jahre gebraucht, um über das Trauma in der Familie und gegenüber Bekannten sprechen zu können. Nun wollte mich die Kirche wieder mundtot machen. Geld gegen Schweigen! Da wusste ich keinen anderen Rat mehr, als den Papst um Hilfe zu bitten. Ich schilderte meinen Fall und fügte alle Unterlagen und Beweise bei, darunter die Tateingeständnisse beider Täter.
Kurz nach Ostern 2004 kam die Antwort des Heiligen Stuhls. Beten wolle der Papst für mich, hieß es in der beauftragten Antwort, damit ich von Gott die Kraft der Vergebung erhalte. Kein Wort darüber, dass die Kirche mich nicht zwinge werde, über die Taten wieder zu schweigen. Von der ältesten und mächtigsten Organisation der Welt sollte ich keine Gerechtigkeit erhalten. Ich hatte daraufhin keine Kraft mehr. Damals wollte ich mich umbringen.
Es dauerte weitere zwei Jahre, bis die römisch-katholische Kirche mir ein Papier vorlegte, dass kein Schweigen von mir verlangte. Es ist ein harter Weg, die Stimme zu erheben, um die Ohnmacht und Hilflosigkeit gegenüber den Tätern zu überwinden. Wie will Kirche die Verbrechen ihrer Angehörigen und die eigene Schuld aufarbeiten, wenn sie sich hinter einer Mauer des Schweigens versteckt?
Nicht nur für mich persönlich, sondern weltweit für viele Opfer, die als Mädchen und Jungen in der Amtszeit von Papst Johannes Paul II missbraucht wurden, ist diese Seligsprechung Salz in ihre tiefen, noch immer frischen Wunden. Auch während seines Pontifikats wurden Verbrechen nicht nur in Deutschland, sondern in vielen anderen Ländern, darunter den USA und Mexiko, vertuscht und verschwiegen. Anstatt einen toten Papst selig zu sprechen, sollte Kirche den Opfern helfen. Beten und um Vergebung bitten ist höhnisch. Den Zeitpunkt der Versöhnung können nur die Opfer selbst bestimmen.

Norbert Denef

Der Autor ist Sprecher des »Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt«, netzwerkB.org

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