netzwerkB 13.06.2011

Kommentar von Doro

So oft muss ich bei den Geschichten über die Folgen von Traumatisierungen an Kindern (z.B. aus der Nazi-Zeit) viele Jahrzehnte später denken: Wenn überhaupt, dann werden das Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder und deren Folgen irgendwann einmal rückblickend mit vielen schwülstigen Worten und “Gedenk-Aktionen” voller möglichst medienwirksam zur Schau gestellten “Betroffenheit” “aufgearbeitet” werden. Aber erst dann, wenn die von diesen Traumen Betroffenen schon längst tot sind oder nicht mehr viele von ihnen da sind. Dann dient die ganze “Aufarbeitungslyrik” nur noch der Selbstbeweihräucherung und Selbstdarstellung derer, die viele Jahrzehnte lang nur weggeschaut haben.

In SPIEGEL Online las ich gerade wieder einen Bericht über zehntausende polnischer Kinder, die ihren Eltern weggenommen und zu deutschen Pflegeeltern zur “Arisierung” gegeben wurden. Bislang wurde diese (weitere) Gräueltat der Nazis und ihre Folgen für das ganze Menschenleben der Betroffenen totgeschwiegen. Jetzt wird “betroffen” darüber geschwülstet. So wie irgendwann in 50 Jahren vielleicht auch über sexuelle Gewalt gegen Kinder geschwülstet werden wird. Dann, wenn man sich sicher sein kann, selbst nicht mehr für das Unterlassen von Hilfe zur Rechenschaft gezogen werden zu können.

In dem SPIEGEL Online-Artikel heißt es u.a.:

“Die meisten Verantwortlichen für diese Verbrechen kamen nach dem Krieg ohne Strafe davon. Nur Greifelt, der Koordinator des Kinderraubs, erhielt eine lebenslange Haftstrafe. Mitarbeiter der Jugendämter, Heimleiter oder Erzieher wurden erst gar nicht vorgeladen.
Viele Betroffene, die zum Teil noch Jahrzehnte unter den Folgen ihrer Verschleppung litten, empfanden das Desinteresse im Nachkriegsdeutschland als blanken Hohn.”

Wenn ich so etwas lese, denke ich: Es hat sich doch nichts geändert. So geht es uns Betroffenen von sexueller Gewalt in der Kindheit heute doch auch… Die meisten der Verantwortlichen für die Verbrechen an uns kommen ohne Strafe davon. Auch wir empfinden das Desinteresse an unseren Schicksalen heute als Hohn. Warum ist niemand (vermutlich außer uns Betroffenen) in der Lage, die Parallelen zu sehen?? Warum kann Betroffenheit nur im Nachhinein zugelassen werden – und das Offensichtliche (nämlich die Parallelität zu heutigen Traumaopfern) weiterhin ausgeblendet werden??

Natürlich weiß ich die Antwort. Aber immer mal wieder überfällt mich einfach grenzenlose Fassungslosigkeit deswegen.