ZEIT ONLINE 24.11.2011

Der Sprecher des deutschlandweiten Netzwerks Betroffener von sexuellem Missbrauch, Norbert Denef, will Deutschland mit einer Klage dazu zwingen, die Verjährungsfristen für Missbrauchstaten aufzuheben. „Deshalb werden wir beim Europäischen Gerichtshof gegen die Bundesrepublik klagen. Wohin sollen wir uns wenden, wenn wir uns von der Politik verraten fühlen?”, sagte der 62-Jährige der ZEIT. Denef wurde als Kind jahrelang von einem katholischen Priester und einem Kantor missbraucht. Beide Täter gestanden, wurden jedoch nicht belangt, weil ihre Taten verjährt waren.

„Abhängigkeit vom Täter, Traumatisierung und Verdrängung führen dazu, dass viele Betroffene sich, wenn überhaupt, erst nach vielen Jahren zur Klage durchringen. Aktuelle Forschungsergebnisse sagen, dass die Schweigezeit von der Tat bis zum Outing oft Jahrzehnte dauert. Dem trägt weder unser Strafrecht noch unser Zivilrecht Rechnung”, begründete Denef seine Kritik an der Verjährung derartiger Taten. Vergewaltigung und sexuelle Nötigung verjähren nach 20 Jahren, sexueller Missbrauch innerhalb von nur zehn Jahren – jeweils gerechnet vom vollendeten 18. Lebensjahr des Betroffenen an. „Das Missbrauchserleben ist extrem scham- und angstbesetzt, fast immer haben die Opfer Schuldgefühle. Deshalb können die meisten ihr Leid zunächst nicht artikulieren”, sagte Denef.

Der Opfervertreter kritisierte auch den Runden Tisch Sexueller Kindesmissbrauch, den die Bundesregierung im Frühjahr 2010 angestoßen hatte. „Man darf nicht vergessen, dass das nicht aus gutem Willen, sondern unter Druck geschah. Erst gab es eine Enthüllungslawine zum Missbrauch in katholischen Einrichtungen, dann prangerte die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Kirche an: Ihr habt verschwiegen, verleugnet, vertuscht. Sofort intervenierte Erzbischof Robert Zollitsch bei Angela Merkel, und die Kanzlerin schwächte die berechtigte Kritik der Justizministerin ab. Der Kompromiss war der Runde Tisch. Er hob die Kirchen in den Stand der Aufklärer, die dann zusammen mit der CDU den Kurs bestimmten, während die Opfer zuerst gar nicht repräsentiert waren. Am ersten Runden Tisch am 23. April 2010 saß kein einziger Betroffener. Dafür die CDU-Ministerinnen Schavan und Schröder. Und die Täterorganisation Kirche durfte das Signal aussenden: Wir klären auf!” Er betrachte den Runden Tisch als gescheitert, weil die Runde die Verjährungsfristen nicht antasten wolle. Am 30. November tagt das Gremium zum letzten Mal.

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