netzwerkB 17.05.2012

Deutsche Verjährungsvorschriften stammen aus römischen Recht

Der britische Kronanwalt Geoffrey Robertson ist Gründer und Leiter der größten britischen Kanzlei für Menschenrechte. Er war in zahlreichen Ländern als Anwalt in bedeutenden verfassungs-, straf- und völkerrechtlichen Fällen tätig. Er leitete Missionen für Amnesty International und vertrat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Robertson ist Mitglied der angesehenen Anwaltsvereinigung Middle Temple. 2008 wurde er als herausragender Jurist zum Mitglied des Internal Justice Council der UNO ernannt.

In seinem Buch „Angeklagt: Der Papst“ (2011) nennt Robertson die deutschen Verjährungsfristen bei sexuellem Kindesmissbrauch „einen schwerwiegenden Makel des deutschen Rechts“.

„Die europäischen Länder müssen ihre unsinnigen, dem Code Napoléon zu verdankenden Verjährungsfristen für die Strafverfolgung von Vergewaltigung und Missbrauch von Kindern abschaffen“, schreibt der Menschenrechtsanwalt. Es gebe „keinerlei Rechtfertigung für eine Verjährung von Verbrechen, die den Opfern eine derartige Scham einflößen, dass viele erst 20 oder 30 Jahre später darüber sprechen können.“ Das englische Common Law kenne keine solchen Fristen, so Robertson, und es gebe „erdrückende Beweise dafür, dass die zeitliche Beschränkung der Strafverfolgung in den französischsprachigen Ländern es Hunderten von Missbrauchstätern erlaubt hat, der Gerechtigkeit zu entgehen.“ (Robertson, S. 319)

Robertson hält Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ausführlich erläutert Robertson in „Angeklagt: Der Papst“ sowohl die komplexen rechtlichen und völkerrechtlichen Hintergründe zu dieser seiner Einschätzung, wie er ebenso ausführlich darlegt, wieso der Vatikan kein Staat ist und dementsprechend Papst nicht immun.

Es könne „mit einiger Sicherheit gesagt werden, dass der sexuelle Missbrauch kleiner Kinder durch Artikel 7 der Statuten des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) implizit abgedeckt werde. Dieser definiert „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ unter Einschluss von „Vergewaltigung“ und „sexueller Sklaverei“ oder „jeder anderen Form sexueller Gewalt vergleichbarer Schwere“ sowie „andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art, mit denen vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der geistigen oder körperlichen Gesundheit verursacht werden.“ (Robertson, S. 246)

Sexueller Missbrauch hat, so Robertson, „nachweislich schwere Auswirkungen auf die geistige Gesundheit und verursacht durchaus seelische Pein“, geschehe er doch „unter Verrat der Fürsorgepflichten“ und sei „häufig gegen sehr junge und sehr verletzliche Personen gerichtet. Nach dem Explanatory Memorandum des IStGH sind derartige Verbrechen „besonders abstoßende Verbrechen dahingehend, dass sie einen schwerwiegenden Angriff auf die menschliche Würde oder eine schwere Demütigung oder Herabsetzung eines oder mehrerer Menschen darstellen. Diese Vorkommnisse treten nicht isoliert oder sporadisch auf, sondern sind Teil einer breit angelegten Verübung von Gräueltaten, die von einer Regierung oder einer De-facto-Autorität toleriert oder gebilligt werden.“ (Robertson, S. 247)

Die Vorstellung, hier seien nur Verbrechen gemeint, die sich in Kriegs- oder bewaffneten Konfliktsituationen vollziehen, hat die Berufungskammer des IStGH für das frühere Jugoslawien laut Robertson zurückgewiesen: Die Kammer hat festgestellt, dass es mittlerweile eine feste Regel im Völkergewohnheitsrecht ist, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit keines Zusammenhangs mit einem internationalen bewaffneten Konflikts bedürfen. (Robertson, S. 244)

Daher fasst Robertson schließlich (u.a.) zusammen: „Der Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche weltweit stellt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar oder entspricht einem solchen Verbrechen, dessen Strafverfolgung nach internationalem Recht nicht durch Verjährungsfristen beschränkt werden kann“. (Robertson, S. 319)

Die in Deutschland geltenden straf- und zivilrechtlichen Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch, wonach beispielsweise jemand, der mit 12 Jahren missbraucht wird, dies spätestens mit 28 Jahren offenlegen muss, andernfalls der Täter nie mehr (!!) strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird und er auch nur dann einen zivilrechtlichen Schadensersatz erhält, wenn er sich spätestens mit 24 Jahren meldet, nennt der renommierte Menschenrechtsanwalt „einen schwerwiegenden Makel des deutschen Rechts“.

Diese [deutschen] Verjährungsvorschriften, so führt Robertson aus, stammten aus dem römischen Recht (erstmals erschienen sie 450 vor Chr. Auf den „Zehn Tafeln“). Zitat Robertson: „Deutschland muss Kindesmissbrauch ernst nehmen, ob er von Priestern verübt wird oder von anderen Personengruppen. Da wir heute im Gegensatz zu den alten Römern wissen, dass es sich hier um Verbrechen handelt, das die Opfer häufig erst lange nach dem Missbrauch zur Anzeige bringen, sollte der deutsche Gesetzgeber dringend handeln, um sämtliche Verjährungsfristen für die Verfolgung dieses Verbrechens abzuschaffen – Verjährungsfristen, die so vielen Missbrauchstätern ein Entkommen ermöglicht haben.“ (Robertson, S. 320)

(Quelle: Geoffrey Robertson QC, „Angeklagt: Der Papst“, Gabriele-Verlag 2011, unbedingt lesenswert auch für nicht durch die katholische Kirche Betroffene und andere Interessierte!)

Mehr auf netzwerkB:

Angeklagt der Papst

Bitte auf Facebook sharen und bei Twitter publik machen