Hallo,

ich selbst bin Betroffene von schweren Mehrfachtraumatisierungen und nachdem ich viele Jahre vom Überleben langsam zum Leben gekommen bin, wächst langsam in mir der Wunsch mich auch mit den praktischen Problemen als Betroffene mit anderen auszutauschen.

Es geht mir um verschiedene Dinge wie z.B.: Ablehnung bei Anträgen auf Krankenzusatzversicherung für z.B. stationäre Krankenhausaufenthalte. Ich stellte fest, dass mir verwehrt wird, mich zusätzlich so zu versichern, dass ich wenn ich z.B. eine OP hätte, nicht mit zig anderen Leuten im Zimmer liegen muss. Es ist aber für mich auf Grund meiner Kindheitserlebnisse sehr schwierig das Zimmer mit vielen zu teilen, nochdazu wenn dann noch deren Besucher kommen, etc…

Oder, die Auseinandersetzung damit, dass man älter wird, der Körper anders, und dann das wahrnehmen im Körper, Arztbesuche, Ängste vor Behandlung, vor Berührung, etc.. all das sind Dinge, bei denen mir aufgefallen ist, dass es da relativ wenig Literatur gibt, wie man sich als Betroffene/r da auch am Besten selbst helfen kann und da ein grösserer Austausch, Bzw. eine Vernetzung hilfreich sein könnte.

Auch das Thema wie kommt man an eine Traumatherapie und wenn ja, fiel mir auf, dass manche Psychologen zwar auf ihrer Seite Traumatherapie anbieten, bei näherem Hinsehen aber Zweifel bei mir entstanden und die Frage aufgeworfen wurde: ist Traumatherapie immer gute Traumatherapie??? Vielleicht gibt es da Möglichkeiten das transparenter für Betroffene zu machen, es ist ja schon ein grosser Schritt in Therapie zu gehen, und z.B. kann für manche Betroffene beispielsweise Hypnose vielleicht hilfreich sein, für Leute, die ähnlich wie ich überlebt haben, wäre es wohl absolut kontraproduktiv, etc…

Auch fiel mir immer wieder auf wenn ich mich für andere „schlau“ machte, dass es für Männer sehr wenig Angebote gibt und z.B. in meiner Stadt nichts. Da habe ich es als Frau wirklich besser, das ist auch gut, aber es gibt wirklich sehr wenig für Männer.

Wie geht man mit Alter und Behinderung um als Betroffene/r, wie mit angewiesen sein, und eben zusätzlich damit, dass man Phasen hat, in denen man das auch gar nicht so nach aussen formulieren kann…. und vielen vielen vielen anderen , auch oft sehr praktischen Themen, die neben dem Aufarbeiten im täglichen Leben so sehr belasten können. Es ist meiner Erfahrung nach einfach alles mit den Folgen der sexuellen Gewalt/ den Traumata, verknüpft und eben auch diese vielen vielen Dinge, die mich persönlich schon absolut gestresst haben- und wie andere Betroffene meine ich damit nicht den „normalen“ Stress, sondern den traumatischen.

Ich habe aber gemerkt, dass ich zwar oft nicht ändern kann dass der Stress kommt, dass ich aber wenn ich meinem ureigenen Instinkt folgend,  z.B. Ärzte gefunden habe, die Verständnis haben, und mich damit aus alten Strukturen gelöst habe, die mir nicht gut getan haben, wenn ich z.B. Jemand Vertrauten mit zum Arzt nahm oder zum Amt, oder wenn ich Dinge mir gegenüber liebevoll angegangen bin, oder auch mir endlich erlaubt habe Dinge zu vermeiden, bis es mir damit etwas besser ging, und wenn ich mich mit anderen über gerade diese Alltagsdinge ausgetauscht habe, und natürlich nur mit Betroffenen oder Verbündeten (denn bei anderen holte ich mir natürlich wieder uralte Verständnislosigkeiten ab) es mir viel besser ging.

Meine Frage ist, ob auch andere Betroffene Ideen haben, wie man Alltagsideen, von all den vielen vielen Dingen die einem zu schaffen machen, irgendwie miteinander vernetzen könnte, und sich damit im täglichen Leben helfen. Oder wie man die Ärztewelt sensibler gegenüber Nöten von Betroffenen machen könnte, oder für Betroffene transparenter wie man mit all den Arztsachen umgehen kann, und wo es wie Unterstützung gibt, für Frauen wie für Männer und so weiter.

Natürlich gibt es auch noch viele andere Dinge, die ich hier gar nicht aufzähle, die im praktischen Sinne- Mal abgesehen vom täglichen Überleben- schwierig sind, ob es das einkaufen ist, ob es das Problem ist, Handwerker oder Fremde in die Wohnung zu lassen, oder im Erdgeschoss wohnen, oder Probleme in der Kommunikation, weil man getriggert ist, und man daraufhin ganz falsch eingeschätzt wird und das wiederum wieder Schwierigkeiten nach sich zieht, etc…

Oder auch diese Einstellung der Gesellschaft, dass nicht gesehen wird, dass bei Betroffenen vieles einfach auch chronisch ist- , nur die Anerkennung WIE anstrengend das ist, fehlt einfach auch und das Verständnis oft. Ich denke aber, dass das oft auch mit mangelndem Wissen zu tun hat- auch bei den Betroffenen, denn ich z.B. habe auch sehr lange gebraucht-meistens- anzuerkennen, was mit mir los ist, warum und WIE diese frühkindlichen „Geschichten“ auf mich eingewirkt haben!

Ich glaube, dass wenn sich das Wissen verbreitert, was im Gehirn so alles passiert während der Kindheit, und auch später und wie „logisch“ das im Grunde genommen ist, und eine normale Reaktion auf Verbrechen, Bzw. viele Schutzreaktionen etc… dann würde auch die Gesellschaft anders reagieren.
Immer wenn ich mich verstehe, warum ich z.B. mit Angst auf den Arzt reagiere oder auf andere Leute, dann kann ich mir auch etwas besser helfen- auch wenn mir das mein Problem nicht nimmt, aber ich kann dann besser in meinem Sinne handeln. Andere auch, wenn sie mehr darüber wissen.

Daher denke ich, je mehr auch die vielen Probleme des Alltags- die sich bei Betroffenen nicht alltäglich anfühlen- bekannt werden, je mehr Austausch stattfindet, auch darüber, wird sich das Wissen darüber in der Gesellschaft auch mehr ausbreiten.

Ich finde das Netzwerk hier einfach so gut und so nötig und so hilfreich! Und wollte das als bisher sehr stille Betroffene Mal in den Raum einbringen und bin gespannt auf Reaktionen und Ideen anderer!! Es ist ein erster etwas unstrukturierter Versuch einige Ideen und Gedanken zu formulieren und auch sichtbarer zu werden.

Liebe Grüße,

Realmenschin