Lübecker Nachrichten 27.06.2012

Norbert Denef isst seit 20 Tagen nichts mehr. Kann Missbrauch nach 30 Jahren noch aufgeklärt werden?

Von Susanne Peyronnet

Scharbeutz – Heute ist Tag 20: So lange ist Norbert Denef (63) aus Scharbeutz bereits im Hungerstreik. Seinem Ziel, eine Aufhebung der Verjährung für Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu erreichen, ist er kaum näher gekommen. Denef will weiter hungern. Wie lange, weiß er noch nicht. „Das entscheide ich jeden Tag neu.“

Nachdem er nach den ersten Tagen einen absoluten Tiefpunkt erreicht hatte, geht es ihm jetzt vergleichsweise gut, sagt er. Bis auf den Schwindel, der jetzt aufgetreten sei. „Der macht mich gerade etwas nervös.“

Zusammen mit sechs anderen Hungerstreikenden aus Berlin und Österreich will Denef erreichen, dass sexueller Missbrauch in Zukunft nicht mehr verjährt (die LN berichteten). Das gilt bisher nur für Mord. Der Lübecker Rechtsanwalt Frank-Eckhard Brand hat die Kirche im Zusammenhang mit der Missbrauchsproblematik rechtlich beraten und kennt sich in der Materie aus. Bisher, so erläutert er, verjähren zivilrechtliche Ansprüche wie Schadensersatz und Schmerzensgeld drei Jahre nach „der schädigenden Handlung“, wie es in feinstem Juristendeutsch heißt. Im Strafrecht gelten längere Fristen.

Damit soll nach dem Willen von Norbert Denef, Sprecher des Netz- werks Betroffener von sexualisierter Gewalt mit Sitz in Scharbeutz, bald Schluss sein. „,NetzwerkB’ fordert die Aufhebung der Fristen im Strafrecht, weil eine Reihe von Fällen beweist, dass anhand der Forensik, Zeugenaussagen, Funde von Tagebüchern, Dias, Filmen und nicht zuletzt auch oftmals Geständnissen der Täter selbst eine Feststellung der Verbrechen vor Gericht möglich ist. Oftmals gelingt es den Opfern erst Jahrzehnte nach der Tat, die Mauern von Scham, Angst und tatsächlicher Isolation im eigenen Umfeld zu durchbrechen.“ Anders sieht Brand die geforderte Aufhebung der Verjährung. „Die Frage ist, ob das sachgerecht ist“, wendet der Rechtsanwalt und Strafverteidiger ein. „Wer soll solche Taten nach 30 oder mehr Jahren Jahren noch aufklären?“ Was nicht heißen solle, dass diese Verbrechen einfach unter den Tisch fallen müssen oder sollen. Laut Brand könne eine sogenannte „Vorfallsanzeige“ abgegeben werden, wie es bisher vielfach geschehen sei. Diese Anzeige, in der der Sachverhalt mitgeteilt wird, geht an die Staatsanwaltschaft. „Nur die kann offiziell feststellen, ob eine Tat verjährt ist.“ Egal, wie diese Entscheidung ausgeht: Aus Brands Erfahrung ist das Entscheidende für die Opfer, dass sich jemand mit deren Geschichte beschäftigt hat und sie mit der Vorfallsanzeige öffentlich geworden ist. „Das ist für viele befreiend.“

Und der Jurist wendet noch et- was ein. Nach kanonischem Recht, also dem katholischen Kirchenrecht, verjährt Missbrauch durch katholische Kleriker nicht. So könnten Fälle der Glaubenskongregation in Rom vorgetragen werden, die dann darüber entscheide oder sie zurück an das zuständige Bistum verweise. Zwar gebe es von Rom keine strafrechtliche Sanktion, aber ein schuldig gesprochener Geistlicher könne zum Beispiel aus dem Klerusstand entlassen werden.

In Denefs Fall ist eine solche Sanktion nicht mehr möglich. Sein erster Peiniger, der Pfarrer der Gemeinde in Delitzsch (Sachsen), ist tot. Sein zweiter Peiniger, der Kantor, war kein Kleriker. Die Instrumente der Glaubenskongregation greifen bei ihm nicht.

Denef geht es auch um mehr als um seinen eigenen Fall. „In der jetzigen Form bedeuten die Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt einen staatlichen Täterschutz. Sogar Serientäter, denen Dutzende oder sogar Hunderte Taten nachgewiesen werden können, bleiben unbelangt und werden in keiner Weise zur Verantwortung gezogen. Eine Abschaffung der Verjährungsfristen würde den Betroffenen das Recht auf Anerkennung sichern und den Anspruch auf Unterstützung erhalten. In der Gesellschaft wäre es ein Signal, die Taten nicht länger juristisch als eine Bagatelle zu behandeln.“

Quelle: Lübecker Nachrichten 27.06.2012

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