Westfalen-Blatt Nr. 149 Samstag 30.06.2012

Von Geistlichen missbraucht: Betroffene fordern Abschaffung der Verjährung

Von Christian Althoff

S c h a r b e u t z (WB). In Deutschland und Österreich sind drei Frauen und drei Männer, die in ihrer Kindheit von Geistlichen missbraucht wurden, im Hungerstreik.

Den Anfang machte vor drei Wochen Norbert Denef, der Vorsitzende des »Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt e.V« aus Scharbeutz. »Ich nehme seit dem 8. Juni nur noch Wasser und Tee zu mir«, sagte der 63-Jährige gestern. Er hungere »ohne Hass und Wut« und wolle auch niemanden erpressen. »Aber ich will mahnen und darauf aufmerksam machen, dass es uns noch gibt.«

Zehn Kilogramm habe er bereits verloren, sagte Norbert Denef. Seine Aktion richte sich gegen die Politik und in erster Linie gegen die SPD. Denef hatte im Dezember als Gastredner auf dem SPD-Bundesparteitag die Abschaffung der Verjährung bei sexuellem Missbrauch gefordert. »Viele Opfer brauchen Jahrzehnte, um über das Erlebte sprechen zu können. Deshalb muss die Verjährung gestrichen werden.« Er habe den Parteitag hinter sich gehabt, sagte Denef. »Hannelore Kraft ist mir mit Tränen in den Augen um den Hals gefallen!« Aber nun wolle niemand mehr etwas von der Abschaffung der Verjährung wissen.

Denef ist das erste Missbrauchsopfer in Deutschland, von dem bekannt ist, dass es von der Kirche entschädigt wurde. 2005 zahlte ihm das Bistum Magdeburg 25 000 Euro. Norbert Denef war in seiner Heimatstadt Delitzsch als Messdiener vom zehnten Lebensjahr an von einem Priester und später von einem Organisten missbraucht worden. Beide Männer haben die Taten gestanden.

Nachdem Norbert Denef seinen Hungerstreik öffentlich gemacht hatte, folgten weitere Opfer seinem Beispiel. »Das war nicht abgesprochen. Diese Menschen machen das aus Solidarität«, sagte der 63-Jährige, der von seinem Hausarzt überwacht wird. Auf Denefs Internetseite www.netzwerkb.org geben drei Frauen und zwei Männer an, ebenfalls zu hungern. Eine weitere Frau hat ihren Hungerstreik wieder abgebrochen. Zuletzt hat sich am 15. Juni ein Mann aus Gelsenkirchen der Aktion angeschlossen, der als Elfjähriger in Essen von einem Kaplan missbraucht worden war.

Ob und wie die Verjährung in Deutschland verändert wird, berät die Bundesregierung derzeit noch.

Quelle: Westfalen-Blatt Nr. 149

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