taz.de 18.07.2012
Norbert Denef über seinen Hungerstreik
Norbert Denef aus Scharbeutz ist seit über 40 Tagen im Hungerstreik gegen die Verjährung von Sexualstraftaten. Er kämpft für die Anerkennung der Opfer.
Interview: Ilka Kreutzträger
Protest vor dem Reichstag: Norbert Denef am 36. Tag seines Hungerstreiks.
Bild: dpa
taz: Herr Denef, Sie haben seit dem 8. Juni nur Wasser, Tee und Gemüsewasser zu sich genommen – wie geht es Ihnen?
Norbert Denef: Man müsste eigentlich die Politiker fragen, wie es denen geht, wenn sie in 20, 30 Jahren den Kindern erklären müssen: Wir hätten damals die Chance gehabt, die Verjährungsfristen aufzuheben, wir haben es nicht getan, ihr müsst weiter schweigen.
Sie wurden selbst jahrelang sexuell missbraucht – wie fühlt es sich an, wenn diese Taten strafrechtlich verjähren?
Das Schwierigste ist die Ausgrenzung durch die Gesellschaft, wenn man darüber spricht. Ich habe 1993 im Familienkreis mein Schweigen gebrochen und werde bis zum heutigen Tag ausgegrenzt. Und diese Ausgrenzung spüre ich in der ganzen Gesellschaft – es will einfach niemand wissen.
Und warum haben Sie sich gerade jetzt dafür entschieden, nichts mehr zu essen?
Irgendwann ist das Maß voll und der Auslöser war meine Rede am 6. Dezember beim Bundesparteitag der SPD in Berlin. Ich habe über unseren Gesetzesentwurf zur Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt gesprochen – das Votum der Delegierten war eindeutig für unseren Entwurf. Hinterher kamen die Frau Schwesig und die Frau Kraft und alle haben mich umarmt und Tränen sind geflossen – aber passiert ist nichts.
Man beruft sich auf die Ergebnisse eines von der Merkel-Regierung eingesetzten Runden Tischs zum Thema, der es ablehnte, die Verjährungsfrist aufzuheben.
Die SPD könnte sich für die Abschaffung der Verjährungsfristen aussprechen, auch wenn sie nicht an der Macht sind. Aber die SPD schickt uns zur CDU, und die CDU sagt, wir würden gern, aber der Runde Tisch hat es abgelehnt und schickt uns zur FDP, weil die eigentlich blockiere – niemand fühlt sich verantwortlich.
Nun setzen Sie auf Erpressung?
Nein, es ist eine Aktion ohne Wut, ohne Hass, ohne Erpressung. Aber ohne Druck wird sich nie was bewegen.
Was ist das größte Problem an der Verjährung?
Andersrum: Der größte Erfolg, wenn es die Verjährungsfristen nicht mehr geben würde, wäre die gerechte Anerkennung der Schäden, die durch sexualisierte Gewalt entstehen. Den Betroffenen würde damit Gerechtigkeit widerfahren.
Das Erzbistum Hamburg will Priester und kirchliche Mitarbeiter nun in Schulungen für das Thema sexueller Missbrauch sensibilisieren – was halten Sie davon?
So lange die alten Verbrechen nicht aufgearbeitet werden können, eben wegen der bestehenden Verjährungsfristen, ist alles andere Makulatur.
Sie sind vor gut drei Jahren nach Scharbeutz gezogen, wie reagiert man hier auf Sie?
Die Gesellschaft ist ja überall wie sie ist – man guckt weg, weil man Berührungsängste mit dem Thema sexualisierte Gewalt hat. Es wird geschwiegen.
Wie halten Sie das Schweigen aus?
Die Ostsee ist meine Kraftquelle, wenn ich das Meer sehe, ist es immer wieder ein Geschenk.
Quelle: http://www.taz.de/Norbert-Denef-ueber-seinen-Hungerstreik/!97606/
–
Mehr auf netzwerkB:
hm, ich stimme norbert denef fast in allen punkten voll zu. nur der punkt, es will keiner wissen ist nicht ganz so. die gruppe der durch die politik verhöhnten will es wissen und nur diese gruppe versteht, was er erlebt hat. und so sind wir eine gruppe von ausgegrenzten. eine gruppe die als betroffene oder auch gewaltopfer betitelt werden. eine gruppe, welche von den gewählten volksvertretern nicht ernst genommen wird, so wie die die wir um hilfe baten in unserer kindlichen verzweiflung (viele haben in unterschieldichen formen um hilfe gebettelt) und im stich gelassen wurden. frau merkel nahm erst heute das wort menschenrechte in den mund… wir scheinen für sie keine zu haben… oft wird von rechtsfrieden geredet… wo sind denn unsere rechte, die rechte für kinder im erwachsenenmantel…100fach missbraucht, geschlagen… die rechte derer die niemanden etwas getan haben… die die an einem runden tisch vertreten werden von menschen, die sie nicht gewählt haben. von menschen die der politik folgen von vertuschung, schweigen und wegsehen… ich befürchte leider sie werden sich nicht ändern und bitte sie herr denef langsam rüchzukehren zum essen, denn wir brauchen sie! sie reden so vielen, welche in der dunkelheit vegetieren, aus der seele. sie sind ein soooo starker mensch und glauben sie mir, ich kann ihre verzweiflung über so viel ignoranz sehr gut verstehen. ich habe die ignoranz dieser gesellschaft auch kennengelernt. mein leben wurde zerstört von den handlangern einer gesellschaft, welche uns diktieren will wie wir zu funktionieren haben…
Ich fordere alle Bundestagsabgeordneten auf, Ihre Hintergedanken der Verweigerung zur Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt auf den Tisch zu legen. Machen Sie ihre Hintergedanken transparent, damit Opfer verstehen, warum Sie Herrn Denef schädigen wollen. Machen Sie es nicht, sind Sie in meinen Augen potenzielle Mörder.
Ich bedauere sehr, dass sich am heutigen 41sten Tag des Hungerstreiks noch immer kein/e PolitikerIn gefunden hat, die aufstehen will. Traurig, aber diese Gesellschaft in Deutschland ist mittlerweile derart egoistisch geworden, dass man nur noch schaut wo man das für sich Grösste herausholen kann. Hoffentlich holt uns dies nicht doch noch in einer Weise ein, die wir bitterlich bereuen werden.
Ich kann mich den 3 Kommentaren vom heutigen Tag nur anschließen. Es ist unglaublich, was sich Politiker erlauben „einfach NICHTS TUN“ und ebenfalls Hrn. Denef bitten, auf sich zu achten und seine Gesundheit nicht zu gefährden, denn den „Anderen“ (Politikern), scheint es egal zu sein. UNS Unterstützer ist es nicht egal.
Norbert Denef sieht die Situation richtig. Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen bedeutet auch immer eine schwere Traumatisierung, Und wem es gelingt in Deutschland sein Opfer nur schwer genug seelischen zu verletzen, der wird durch Staat und Gesellschaft geschützt, denn wer nicht mehr verurteilt wird, ist ja nicht schuldig….. Die Opfer werden nur scheinbar unterstützt. Menschlich, Menschenrechtlich wie rechtlich ist das mehr als bedenklich. Und wenn das Gewissen der einzelnen Menschen auch nach Gerechtigkeit und Widergutmachung ruft, dann hilft den Tätern garantiert der Rückgriff auf kirchliche Riten und gesellschaftliche Traditionen und damit wird alles unter den Teppich gekehrt. Man betrachte sich nur die Diskussion um das Kölner Beschneidungsurteil, dem langen Kampf der intersexuellen Menschen, die ohne ihre informierte Einwilligung kastriert und zwangsoperiert werden, den Verwaltigungsopfern in Schulen, Internaten, Kinderheimen, und die Opfer der Täter im Kirchendienst.
Danke Norbert! Halte durch.
Jüdische Gelehrte in der Presse zur Beschneindung, die ich fast schlimmer
als sexuellen Mißbrauch sehe.
1.) Der baden-württembergische Landesrabbiner Netanel Wurmser äußerte sich entsetzt: «Das weckt Erinnerungen an schlimmste Szenarien jüdischer Verfolgung», sagte er der Nachrichtenagentur dpa.
2.) Verantwortungsbewusste Beschneidungen müssen weitergehen dürfen – vollkommen legal und gesetzlich abgesichert. Es reicht nicht, Beschneidung lediglich straffrei zu stellen. Nur so kann Religionsfreiheit in Deutschland glaubwürdig Bestand haben!
( Obberrabiner Brandt )
3.) Das Kölner Beschneidungsurteil wird von der Konferenz Europäischer Rabbiner als schwerster Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust betrachtet. „Ein Verbot der Beschneidung stellt die Existenz der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland infrage“, sagte der Präsident des Verbandes, der Moskauer Rabbiner Pinchas Goldschmidt, am Donnerstag in Berlin. „Sollte das Urteil Bestand haben, sehe ich für die Juden in Deutschland keine Zukunft.“
4.) Das Schächtverbot der Nationalsozialisten sei ein Zeichen für viele Juden gewesen, „wir müssen weg aus Deutschland“, sagte Goldschmidt. Ein Beschneidungsverbot wäre angesichts der Bedeutung dieses Brauchs ein viel stärkeres Zeichen.
5.) Das Urteil sei Teil einer Folge von Angriffen auf religiöse Minderheiten in Europa, sagte Goldschmidt nach einer Sitzung von rund 40 europäischen Rabbinern. Dazu gehörten die Einschränkungen für den Minarettbau in der Schweiz, das Burkaverbot in Frankreich sowie das Schächtverbot in den Niederlanden. Als positiv nannte der Rabbiner Äußerungen des deutschen Botschafters in Israel, Andreas Michaelis, der eine rechtliche Klarstellung bei der Anhörung der Knesset in Aussicht gestellt habe.
6.) Auf eine höchstrichterliche Klärung wollen die Rabbiner nicht warten. „Keiner von uns kann warten, bis Karlsruhe entscheidet“, sagte der Rabbiner Avichai Apel von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland. Auch nach dem Kölner Urteil würden die von den Synagogen bestellten Beschneider (Mohel) die Entfernung der Vorhaut von Knaben fortsetzen.
7.) Goldschmidt bezeichnete es als erschreckend, dass nach Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung das Kölner Urteil begrüße. Das Kölner Urteil weise daraufhin, dass Muslime und Juden in Europa nicht mehr „salonfähig“ seien. Im 19. Jahrhundert sei der Antisemitismus noch religiös definiert worden. „Die neue Sprache des Antisemitismus ist die Sprache der Menschenrechte“, sagte Goldschmidt und zitierte damit den Londoner Großrabbiner Jonathan Sachs.
Bewertung auswählenMangelhaftAusreichendBefriedigendGutSehr gut
Bitte halten Sie durch, Herr Denef!
Meine Unterstützung haben Sie in jeglicher Form.
Ja, irgendwo verstehe ich die Ignoranz der Politiker zu den wichtigen Entscheidungen nicht. Zwar wird sich mit dem Thema auseinandergesetzt, und Niemand kann ihnen nachsagen, daß sie sich damit nicht befasst hätten und es ihnen egal sei.
Aber den letzten wichtigen Schritt verweigern sie dann doch.
Es ist doch so, daß Betroffene von Mitleidsbekundungen allein wenig haben.
Und auch von diversen Büchern zur Problematik haben Betroffene im Grunde Nichts, wenn nichts daraus folgt.
All diese Aktionen, ob Bücher schreiben, Aufklärungskampagnen, Forschung, langatmige Diskussionen usw. nutzen den Betroffenen recht wenig, wenn am Ende die Bereitschaft fehlt, die daraus gewonnen Erkenntnisse umzusetzen. Den einzigen Nutzen ziehen bisher die damit Beschäftigten, denen ein Arbeitsplatz gegeben wurde und Einige schaffen es, mit dem Thema sogar viel Geld zu machen. Zudem hat man hat die Gesellschaft ruhig gestellt, weil ja Niemand sich beschweren kann, dass Nichts getan wird. Man hat also immer Vorzeigeprojete als Alibi so nach dem Motto „hier, wir tun ja was dagegen und wollen Betroffenen helfen“.
In wenigen Ausnahmenfällen mag das ja auch stimmen, den Grossteil der Betroffenen lässt man jedoch nach wie vor im Regen stehen, weitab von einem Leben in Würde.
Und das finde ich nach den ganzen bisher gelaufenen Aktionen ziemlich traurig und erschütternd.
Ja, und ein ganz wichtiger Punkt wäre sicher die Aufhebung der Verjährungsfristen gewesen, um Betroffenen überhaupt die Chance zu geben, sich zu wehren und einen annähernden Ausgleich zu schaffen.
Aber das kostet ja alles viel Geld und so will man das einfach nicht – wie einfach.