Deutsche Kinderhilfe e.V. 10.10.2012

Beschneidungsgesetz hebelt Kinderrechte aus / Gesetzgeberischer Schnellschuss mit schweren handwerklichen Mängeln

(Berlin) – Der heute vom Bundeskabinett nur als aktionistischer Schnellschuss zu bezeichnender beschlossene Gesetzentwurf zur Legalisierung von Beschneidungen bestätigt die Befürchtungen der Deutschen Kinderhilfe, dass in dem Bemühen jüdischen und muslimischen Eltern Beschneidungen in Deutschland weiterhin zu ermöglichen, der Gesetzgeber einseitig Elternrechte stärkt, mit Auswirkungen auf die Kinderrechte in Deutschland, die weit über die Beschneidungsfrage hinausgehen.

Die Deutsche Kinderhilfe lehnt Beschneidungen von Jungen im nicht zustimmungsfähigen Alter ebenso wie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte als eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohls ab. Mit diesem Gesetz legitimiert der Gesetzgeber nun nicht nur die religiös motivierten Beschneidungen, er lässt diese generell zu: Eltern können demnach auch aus ästhetischen, kulturellen oder sozialen Gründen die Beschneidung ihres Kindes vornehmen lassen. Mit diesem Gesetz wird die nicht medizinisch indizierte Beschneidung als Bestandteil des Elternrechts definiert. Unmittelbar nach dem Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung soll eine neue Norm in das BGB eingefügt werden, die diesen weitreichenden Eingriff als „natürliches Elternrecht“ erlaubt.

„Während die Ohrfeige verboten ist, soll nun ein irreversibler, mit den Risiken von erheblichen Nebenwirkungen verbundener und ausgesprochen schmerzhafter Eingriff egal aus welchen Gründen erlaubt werden – eine solche Bestimmung im BGB schwächt die Kinderrechte nachhaltig und wirft Deutschland in Sachen Kinderschutz um Jahrzehnte zurück“ so Georg Ehrmann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe.

Wenn im BGB das Recht der Eltern nun so einseitig gestärkt wird, dann hat dies Auswirkungen, die der Gesetzgeber entweder in Kauf nimmt oder in der Hektik des Verfahren schlichtweg nicht bedacht hat. Wird eine so gravierende Missachtung der Kinderrechte, es geht um den Anspruch des Kindes auf Wahrung seiner körperlichen Unversehrtheit gem. Art. 2 I Grundgesetz, in das Erziehungsermessen der Eltern gestellt, dann können Eltern beispielsweise zukünftig den Anspruch erheben, aus religiöser Überzeugung ihre Töchter vom Schwimmunterricht abzumelden oder sie von Klassenfahrten fernzuhalten, was auch unter Integrationsgesichtspunkten zu bedenken wäre. Auch das Recht auf gewaltfreie Erziehung wird durch die Einfügung dieser Norm relativiert. Ferner erhält der Begriff des Kindeswohls durch diesen Gesetzentwurf eine erhebliche Schwächung, da der Gesetzgeber auch in der Begründung ausdrücklich klarstellt, dass die in einer Beschneidung liegende erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit aus welchen Gründen auch immer keine Kindeswohlgefährdung darstellt.

Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt der Deutschen Kinderhilfe ist die gesetzliche Einführung des „Laienprivilegs“. Demnach soll es Monaten medizinischen Laien erlaubt werden, operative Eingriffe an Jungen unter 6 Monaten durchzuführen. Dabei soll lediglich örtliche Betäubung zum Einsatz kommen, da alle anderen Formen der Schmerzvermeidung in Deutschland ausschließlich durch Ärzte durchgeführt werden können. Es ist ein Irrglaube, mit Zäpfchen oder einer Salbe die erheblichen Schmerzen bei einer Beschneidung und ihre Auswirkungen auf das Schmerzempfinden im späteren Leben lindern zu können: „Das schmerzunterdrückende System ist erst einige Monate nach der Geburt funktionstüchtig. Sie (Babys) empfinden mehr Schmerz als Erwachsene“, so der Leiter des Deutschen Kinderschmerzzentrums Prof. Dr. Zernikow. Auch in der Expertenanhörung im Justizministerium am 28. September wurde dies von Pädiatern und Kinderchirurgen erläutert und klar gestellt – es bedarf bei Säuglingen daher einer speziellen Anästhesie. Wie sich nun herausstellt, hatten diese Expertenaussagen keine Auswirkungen auf den Gesetzentwurf.

Wie wenig durchdacht der gesetzgeberische Ansatz ist, zeigt sich auch darin, dass Annahmen zugrunde gelegt werden, die nicht erfüllbar sind: Kinder über 6 Monate sollen nur von Ärzten beschnitten werden. Die überwiegende Zahl der Kinderärzte und Kinderchirurgen in Deutschland lehnt die nicht medizinisch indizierte Beschneidung ab – und dies nicht erst seit dem Kölner Urteil.

Die Deutsche Kinderhilfe erneuert ihren Appell, diese wirklich schwierige und nicht in Wochen lösbare Problematik gründlich in einem Dialog an einem Runden Tisch zu diskutieren und fordert die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf zu dem demokratischen Grundkonsens zurückzukehren und ein Gesetz dieser Tragweite nicht in einem die Debatte unterdrückendem Eilverfahren durchzuwinken. „Die Ankündigung, dass Bundesrat und Bundestag das Gesetz zusammen einbringen werden zeigt, dass dieser Entwurf schnellstmöglich durch das Parlament gepeitscht werden soll“, so Ehrmann weiterhin.

Quelle und Kontaktadresse:

Deutsche Kinderhilfe e.V.
Julia Hofmann, Sprecherin des Vorstandes
Schiffbauer Damm 40, 10117 Berlin
Telefon: (030) 24342940, Telefax: (030) 24342949
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