Kommentar von Frantek, 09.12.2012

Nun wurde auch noch der Runde Tisch seitens der Regierung abgesagt. Wen wundert das eigentlich noch? Selbst wenn der Termin zur Bilanz stattfinden würde, wäre die Bilanz ja ohnehin ernüchternd.

Also ziehe ich meine Bilanz und formuliere eigene Vorschläge. Kann sein, die klingen etwas verrückt, doch was macht das schon?

Kann es sein, dass das Thema der Beschneidung, dass am 12.12.2012 auf der Tagesordnung der Politiker stehen soll, wichtiger ist, als eine Bilanz zum Runden Tisch? Muss und sollte wohl so sein. Immerhin geht es um das Kindeswohl. Obwohl vermutlich genau der Respekt vor der Unversehrtheit von Leib und Seele der Menschen / Kinder hinter den Interessen der Religionsverbände und der Politiker stehen wird. Wieder wird es kaum um tatsächliche oder angenommene Interessen von Menschen gehen, sondern bestenfalls um Wählerstimmen. Kinder gehen aber nun mal nicht zur Wahl.

Seit Jahren wenden sich Betroffene und deren Angehörige an Politiker und werden wohlwollend angehört. Versprechungen werden gemacht, doch liegt ja schon im Wortsinn von Versprechen, dass man sich dabei auch mal versprechen kann. Politiker wollen gewählt werden und auch noch hinreichend Geld für Wahlkämpfe bekommen, um diese dann auch noch finanzieren zu können. Damit fallen Betroffene und Angehörige oft genug als Wahlsponsoren aus. Meist gehören sie krankheitsbedingt zur unteren Bevölkerungsschicht und benötigen ihre wenigen Cents selbst.

Als Wahlvolk taugen Betroffene und Angehörige wohl auch nicht besonders, denn wegen hinreichend eigener, oft existenzieller Sorgen geraten Wahlen oft genug aus dem Blickwinkel. Und wenn Betroffene doch eine Stimme abgeben, verlieren wir Betroffene und Angehörige wegen des geschenkten Vertrauens an Politiker den Blick für Realitäten, also an die unvermeidbare Nichterfüllung von Versprechen an Betroffene und Angehörige.

Hilferufe an Verbände der Behandler, um Unterstützung bei der Bearbeitung von Folgen aus erfahrener sexualisierter Gewalt zu erhalten, gehen klar an die falsche Adresse. Schon Lohstöter (I.) formulierte 1992 in ‚Sexueller Missbrauch im Kindesalter‘, dass das Verleugnen von auftretenden Fällen von Sexualisierter Gewalt in den Praxen von Psychotherapeuten nicht ungewöhnlich sei. Frau Birck (A.) erneuerte diese Aussage 2001 in ‚Die Verarbeitung sexualisierter Gewalt‘ und sprach davon, dass das Verleugnen immer noch Professionelle erfassen würde. Betroffene berichten von exorbitant langen Wartezeiten, heute noch.

Gesuche an Behandlerverbände sind nicht sinnvoll, weil die Behandlung arbeitsintensiv ist, lange andauern kann, immer wieder unterbrochen werden könnte und daher auch die Beantragung von Kostenübernahmen schwieriger ist. Zudem sind wir Betroffenen nicht nur unbedingt zuverlässig, wenn es um die Einhaltung von Terminen geht. Abgesehen davon ist der Symptomkomplex von traumatisierten Menschen nicht wirklich hinreichend berücksichtigt in Ausbildungen in Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie.Auch bei Medizinern sind Betroffene und Angehörige wohl nicht nur Patienten, sondern komplizierte „Kunden“, die das knapp bemessene Budget „shreddern“. Eben weil pharmakologische Mitbehandlung oft nicht vermieden werden kann und teuer ist.

Warum sollten uns also Behandlerverbände unterstützen, wenn sie die Kassenzulassungen, Budgets, Versorgungsleistungen und Honorare der Verbandmitglieder schützen müssen?

Auch die Nachhaltigkeit der öffentlich finanzierten Haushalte der Kommunen und Länder ist bereits nicht mehr gegeben. Vor dem Sterben von Beratungsprojekten hat Ursula Enders bereits gewarnt. Wenn spätestens nach der Bundestagswahl 2013 klar wird, dass die Pensionsfonds der Kommunen und Länder am Ende sind, werden soziale Projekte und Beratungsstellen für Betroffene und Angehörige flächendeckend nicht mehr finanzierbar sein. Also sterben, weil die sozialen Ausgaben gekürzt werden müssen. (Vgl. auch Birnbaum (C.) in ‚Die Pensionslüge‘; 2012).

Insgesamt ist auch der volkswirtschaftliche Gesamtschaden durch Folgen sexualisierter Gewalt nie wirklich errechnet worden. Einfacher dagegen ist es, die Kosten der Behandlung von Tätern zu beziffern, abgesehen davon, dass sich bei der Behandlung der Täter Behandler auch noch akademische Lorbeeren verdienen könnten. Übrigens selbst dann, wenn diese begründen, dass die Behandlung von Tätern nicht zielführend zu mehr sozialer Kompetenz und der unbedingten Anerkennung der Unverletzlichkeit des menschlichen Körpers und der menschlichen Seele führt. Aber die Kosten für eine Behandlung von Betroffenen und Angehörigen werden in jedem Falle als zu hoch beziffert, allerdings verurteilte Täter auch nur höchst selten zu Schadenersatz herangezogen.

Zur Bilanz gehört aber auch, dass es durchaus Menschen gibt, zu denen auch Behandler gehören, die engagiert, fachlich kompetent und nicht nur gewinnorientiert arbeiten und denken. Auch über ein hohes Maß an Empathie für Betroffene und Angehörige verfügen.

Nun also meine Schlussfolgerungen:

(1) Betroffene und Angehörige, also wir, müssen uns perspektivisch als Kunden der Behandlersysteme verabschieden. So lange noch arbeitsfähige Organisationen von Betroffenen und Angehörigen existieren, sollte der Aufbau eigenständiger Behandlungsräume, etwa unter Stiftungsrecht, stattfinden. Und zwar unter der Hoheit von Betroffenen oder Angehörigen, die Hilfe und Unterstützung als Ausdruck von Solidarität und Altruismus verstehen.

(2) Die vorhandenen Behandlersysteme und ihre Vertreterverbände werden erst aufwachen, wenn sich ihnen Teile ihrer Kundschaft längerfristig entziehen wollen. Möglicherweise werden sie genau dann ernsthafte Angebote an Betroffene und Angehörige machen, falls diese die dann noch diskutieren wollen.

(3) Als Wahlvolk sind wir Betroffene und Angehörige für Politiker nicht wichtig genug. Also nehmen wir ihnen unsere Stimmen weg. Da eine Nichtwahl an den gegebenen Stimmverhältnissen nicht wirklich viel ändern wird, sollte sich eine wie auch immer benannte Interessensvertretung von Betroffenen und Angehörigen selbst zur Wahl stellen. Dabei lässt sich auch ziemlich genau definieren, wofür eine solche Interessensvertretung stehen will. Die Forderungen an den Runden Tisch wären da allemal eine Grundlage. Und spätestens wenn es gelingen sollte, dass alle

Betroffenenverbände sich selbst an der Wahlurne wählen, werden Betroffene und Angehörige für etablierte Politiker wieder interessant, falls Betroffene und Angehörige dann noch „nur“ interessant sein wollen. Abgesehen davon wäre noch nicht mal eine Fünf-Prozent-Klausel ein echtes Hindernis, wenn jeder Betroffene mindestens einen Angehörigen zur Wahl aktivieren kann.

Hmm, aber ob ein betroffener Mensch dann mit den sich Nicht – Stellen – wollenden Politikern dann noch an einem Tisch sitzen möchte, wäre noch zu klären.

Runder Tisch

Beschneidung von Kindern