Deutscher Bundestag
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An den

Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages,

Wir nehmen Bezug auf den Gesetzesentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes“ (Drucksache 597/12) und auf den Gesetzesentwurf einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten „Entwurf eines Gesetzes über den Umfang der Personensorge und die Rechte des männlichen Kindes bei einer Beschneidung“ (Drucksache 17/11430).

Die Entwürfe sollen im Plenum des Deutschen Bundestages am 12. Dezember 2012 debattiert und beschlossen werden.

Wir möchten hierzu Stellung nehmen und fordern den Deutschen Bundestag auf, den vorliegenden Gesetzesentwürfen nicht zuzustimmen.

Wir halten die vorliegenden Gesetzesentwürfe beide nicht für das Wohl von Kindern und Jugendlichen geeignet. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung entspricht aus Sicht von netzwerkB nicht dem Grundgesetz.

Das Abtrennen der männlichen Vorhaut stellt einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Er bedeutet Schmerzen, in nicht unerheblichem Umfang Komplikationen und ein Trauma. Er ist aus nicht-medizinischen Gründen heraus im Sinne der Medizinethik nicht vertretbar. Er ist ohne Schmerzbehandlung nicht vertretbar. Eine Durchführung durch nicht-medizinisches Personal ist nicht vertretbar. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind hier nicht einsichts- und einwilligungsfähig.

Unsere Begründung hierzu lehnt sich auch auf die eindeutige Position der Mehrheit der Ärzteschaft an:

Mediziner wissen, dass dieser Eingriff ein Trauma bedeutet. In einem gemeinsamen Aufruf von mehr als 700 Medizinern und Juristen, darunter Dr. Matthias Franz, Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Düsseldorf, Prof. Dr. Holm Putzke, Jurist an der Universität Passau, Prof. Dr. Maximilian Stehr und Prof. Dr. Hans-Georg Dietz, Kinderchirurgen an der Kinderchirurgischen Klinik der Universität München, werden Bundesregierung und Bundestagsabgeordnete aufgefordert, das Kindeswohl in den Mittelpunkt zu rücken: „Es herrscht eine bemerkenswerte Verleugnungshaltung und Empathieverweigerung gegenüber den kleinen Jungen, denen durch die genitale Beschneidung erhebliches Leid zugefügt wird“.

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/offener-brief-zur-beschneidung-religionsfreiheit-kann-kein-freibrief-fuer-gewalt-sein-11827590.html

Verbandspräsident Wolfram Hartmann vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (bdkj) wies auf „lebenslange körperliche und vor allem seelische Verletzungen” hin.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article108314004/Kinderaerzte-Koerperverletzung-wird-bagatellisiert.html

Seit dem 19. Jahrhundert wird dieser Eingriff als wirksame Maßnahme gegen Masturbation propagiert. Dies zeigt, dass es sich auch um einen erheblichen Eingriff in die genitale Autonomie eines Menschen handelt. Dies wird im vorliegenden Gesetzesentwurf leider bagatellisiert.

Ohne medizinische Notwendigkeit ist der Eingriff ethisch und insbesondere medizin-ethisch nicht vertretbar. Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie nahm im Juli 2012 eine klare Position zu diesem Eingriff ein: „Gerade Kinderchirurgen, die nicht einwilligungsfähige Kinder mit Einwilligung ihrer Eltern operativ behandeln, müssen hier strenge und klare Maßstäbe ansetzen. Nur die elterliche Einwilligung zu einer Operation, die dem Kind nach Abschätzen des Nutzen und des Risikos medizinisch zum Wohle gereicht ist rechtswirksam. Dieser Sachverhalt ist aber bei der Beschneidung kleiner Knaben ohne Einwilligungsfähigkeit außerhalb der medizinischen Indikation nicht erfüllt.“

http://www.dgkch.de/index.php/presse/189-pressemitteilung-juli-2012

Ist eine medizinische Notwendigkeit gegeben, so darf dieser Eingriff auf keinen Fall ohne wirksame Schmerzbehandlung vor, während und nach dem Eingriff stattfinden. Ohne Schmerzbehandlung stellt der Eingriff aus unserer Sicht Folter dar. Zur Schmerzbehandlung ist die Position der Deutschen Schmerzgesellschaft eindeutig. Sie verweist auf die Forschungsergebnisse einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit bei  Säuglingen gegenüber Erwachsenen. Sie sieht „schmerzhafte Eingriffe wie Beschneidungen bei Säuglingen nur dann als fachgerecht durchgeführt und damit zulässig an, wenn während und nach dem Eingriff eine fachlich kompetente, wirksame Schmerzbehandlung erfolgt.“

http://www.gesundheit-adhoc.de/files/1343986143_7df0315f.pdf

Wir in netzwerkB sehen bei Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, die Einwilligungsfähigkeit für diesen medizinischen Eingriff nicht für gegeben an. Die Einsichtsfähigkeit liegt noch nicht im vollen Umfang vor. Bei Kindern ist völlig  absehbar, dass sie dem sozialen Druck durch Familie und Umfeld grundsätzlich nicht gewachsen sind.

Wir halten die Entscheidung des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012 für gesetzeskonform und insbesondere im Einklang mit dem Grundgesetz. Das Landgericht Köln stellte sich eindeutig auf die Seite der Kinderrechte.

Es ist ein Scheinargument, ohne Legalisierung drohe die Durchführung des Eingriffs durch nicht-qualifziertes Personal. Eine ebensolche Durchführung durch Nicht-Mediziner wird vom Gesetzesentwurf sogar ausdrücklich vorgesehen. Diese Option bedeutet unter anderem, dass eine qualifizierte Schmerzbehandlung entfällt.

Nach Artikel 2 des Grundgesetzes hat „jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“. Wir sehen das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit im Grundgesetz eindeutig über die Religionsfreiheit der Eltern gestellt. Ein Verweis auf alte Traditionen bedeutet für uns einen Rückfall auf alte reaktionäre Positionen, ein Staat brauche keine Verfassung, weil die staatliche Ordnung direkt von Gott stamme. Religiöses Leben ist in Deutschland auch ohne einen Hoheitsanspruch der Religionsgemeinschaften auf den genitalen Bereich und die Sexualität der Menschen möglich.

Nach § 24 der UN-Kinderrechtskonvention haben die Vertragsstaaten, zu denen auch Deutschland zählt, „alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen“. Das darf aus Sicht von netzwerkB nicht nur ein Lippenbekenntnis sein.

Wir möchten uns von der Gewalt gegenüber Kindern lösen. Kinder haben einen Anspruch auf ein Leben ohne Gewalt, Schmerz, Trauma und Eingriff in die körperliche und genitale Selbstbestimmung. Wir halten daher beide Gesetzesentwürfe für einen Schritt in die falsche Richtung.

Beide Gesetzesentwürfe stellen keine Verbesserung der Situation dar, die durch das Urteil des Landgerichts Köln 2012 bereits deutlich zugunsten des Kinderschutzes klargestellt  wurde.
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