Mindestens 100.000 Euro als Kompensation, eine Anzeige- und Meldepflicht, die konsequente Durchsetzung der Maßstäbe des Rechtsstaates im kirchlichen Umfeld. Das forderte das netzwerkB am Dienstag als Konsequenz aus der kirchlichen und politischen Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs durch Priester.

ARIK PLATZEK

Dienstag, 8. Januar 2013

„Die Zusammenarbeit der Deutschen Bischofskonferenz als höchstes Gremium der römisch-katholischen Kirche in Deutschland und dem kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, geleitet von dem ehemaligen Landesjustizminister Prof. Dr. Christian Pfeiffer, ist gescheitert“, hieß es in einer Stellungnahme von netzwerkB, einem Zusammenschluss von Betroffenen sexualisierter Gewalt.

Zur Begründung berief sich das Netzwerk auf Quellen aus dem Umfeld eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts, welche die katholische Kirche in Auftrag gegeben hatte.

Zu einer Untersuchung des Missbrauchs in der katholischen Kirche waren 2011 das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen und das Institut für Forensische Psychiatrie der Universität Duisburg-Essen beauftragt worden.

Angekündigt wurde, dass die Auswertung von mehr als 100.000 Personalakten, eine umfassende Ermittlung des Umfangs von sexuellem Missbrauch in der Kirche sollte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen unter Leitung des Kriminologen Christian Pfeiffer durchgeführt werde. Die Kirche versprach, dass unabhängige Juristen die Personalakten von Priestern, Diakonen und männlichen Ordensleuten in den 27 deutschen Bistümern von 2000 bis 2010 auf entsprechende Taten sichten. In neun repräsentativen Bistümern sollten auch die Akten bis zum Jahr 1945 geöffnet, sowie Missbrauchsopfer direkt befragt werden.

Ein zweites Projekt sollte psychiatrische und psychologische Gutachten von Geistlichen auswerten, die in der Vergangenheit entsprechende Taten begangen hatten. Täterprofile sollten erstellt werden, um Erkenntnisse über Störungen und Auffälligkeiten, die sexuelle Entwicklung und biografische Zusammenhänge zu liefern. Der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, erklärte damals gegenüber der Öffentlichkeit, es ginge um eine „eine ehrliche Aufklärung, frei von falscher Rücksichtnahme“.

Im Dezember 2012 wurden die Ergebnisse der zweiten Studie vorgestellt. Zu den Ergebnissen der Analyse von Gutachten über 78 katholische Geistliche hieß es, unter anderem, dass sich bei der Untersuchung der Fälle „keine bedeutsamen Unterschiede zu Erhebungen in der deutschen Allgemeinbevölkerung“ gezeigt hätten. Die meisten Priester, die sich an Kindern und Jugendlichen vergangen hätten, seien nicht pädophil.

Norbert Leygraf,  Direktor des Institutes für Forensische Psychiatrie an der Universität Duisburg-Essen, sprach sich anschließend ausdrücklich für den Verbleib von Tätern in der Gemeinde aus: „Verbleiben sexuell übergriffige katholische Geistliche innerhalb ihrer Kirche, dann verfügen sie über ein soziales Kontroll- und Unterstützungsnetzwerk, welches unter rückfallpräventiven Gesichtspunkten als protektiver Faktor angesehen werden kann.“

Ein anderes Projekt wurde vor kurzem eingestampft: Zum Jahresende 2012 schaltete die katholische Kirche die 2010 eingerichtete Hotline für Opfer des sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Einrichtungen ab. Zur Begründung verwies die Kirche auf eine zu geringe Nachfrage.

Norbert Denef, Gründer von netzwerkB, kritisierte frühzeitig die Maßnahmen der Kirche: „Man würde ja auch nicht die Mafia bitten, ihre eigenen Verbrechen aufzuklären.“

Nun will Denef außerdem erfahren haben, dass die mit dem ersten Forschungsprojekt angekündigte Untersuchung sämtlicher Personalakten zusammen mit unabhängigen Experten nicht wie angekündigt stattfinden werde. Es heißt, dass beim beauftragten Institut in Hannover bereits zwei Mitarbeiter, die an der Studie arbeiteten, frei gesetzt worden seien.

Beim netzwerkB sieht man sich deshalb in den eigenen Erfahrungen bestätigt. „Wir erkennen, dass das Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung hier nicht greift“, so Norbert Denef. In den Bekanntmachungen von Mitte 2011 sei heute nicht mehr als „eine große Aktion für die Presse“ zu sehen.

Die Weigerung der Bistümer bildet die Ursache, berichtete hier Spiegel Online. „Institutsleiter Christian Pfeiffer beklagt, die Kirche weigere sich zu kooperieren. Ende vergangenen Jahres wandte er sich in zwei Schreiben an die Bistümer. In ihnen mahnte er die versprochene Transparenz und Kooperation an. Außerdem fragte er, ob Hinweise stimmten, wonach in einigen Bistümern aktiv Akten vernichtet worden seien“, heißt es dort. Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, dementierte den Vorwurf des Scheiterns. Man befinde sich in einem „Klärungsprozess“.

Es gebe bereits ein Kündigungsschreiben, meldete die Süddeutsche Zeitung, laut dem die Kirche die Aufarbeitung kündigen wolle. Das Projekt sei an den Zensur- und Kontrollwünschen der Kirche gescheitert, hieß es.

Denef fordert daher, endlich effektive Konsequenzen aus dem Verlauf der Aufarbeitung zu ziehen. Freiwillige Selbstverpflichtungen leisteten nicht den erforderlichen Nutzen: „Wir brauchen eine Anzeige- und Meldepflicht, damit bei den jetzigen Opfern interveniert wird, wenn es bekannt ist. Vorgesetzte, die ihre Mitarbeiter decken und schützen, wie zuletzt in der Charité, müssen gesetzlich zur Verantwortung gezogen werden können.“

Vorgesetzte sollten ferner gesetzlich verpflichtet werden, auffällig gewordene Täter in ihren Einrichtungen anzuzeigen. „Die Begutachtung, wo ein Täter noch eingesetzt werden kann, muss in den Händen des Staates liegen. Die Kirche darf sich nicht länger auf Kirchenrecht berufen. Es wird Zeit, dass auch hier die Maßstäbe des Rechtsstaats greifen, wie überall“, so Denef.

Als einen Verstoß gegen die Menschenwürde beurteilte er die von Politik und Kirche vereinbarten Entschädigungsbeträge, deren Höhe sich bislang durchschnittlich auf 3.000 Euro für die Therapiekosten belaufe. Die katholische Kirche hat eigenen Angaben zufolge bislang 1.200 Anträge auf Entschädigung von minderjährigen Opfern positiv beschieden, die Zahlungen betragen maximal 5.000 Euro. Weniger als sechs Millionen Euro hat also die Kirche hier im Rahmen der eigenen Wiedergutmachungsversuche ausgeben müssen.

Für Denef und die Betroffenen im Netzwerk geben diese schmalen Beträge einen weiteren Grund zur Empörung, denn sie sind viel zu gering: „Eine zerstörte Kindheit, eine kaputte Jugend, jahrzehntelange Einschränkungen auf Grund der gesundheitlichen Folgen, im privaten und beruflichen Bereich, sind mit Entschädigungen unterhalb von 100.000 Euro nicht angemessen kompensiert.“

Ähnlich wurde das in den USA gesehen, wo Missbrauchsopfern teilweise Millionenbeträge zugestanden wurden. Solche Entschädigungszahlen sind zwar kaum denkbar im deutschen Rechtssystem, relativieren kann das jedoch die extrem niedrigen Summen in der Missbrauchsaufarbeitung und Opferentschädigung in Deutschland kaum.

Und auch eine weitere seit langem vorgetragene Forderung von Denef, die Aufhebung von strafrechtlichen Verjährungsfristen für sexuellen Missbrauch, scheint kein Ding der Unmöglichkeit: In der Schweiz trat zum Jahresbeginn eine Gesetzesänderung in Kraft, nach der dort ein schwerer sexueller Missbrauch von Kindern unter 12 Jahren nicht mehr verjähren kann.

Quelle: http://www.diesseits.de