Auf Empfehlung des „Runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch“ hat die ehemalige Bundesbildungsministerin Anette Schavan Studien zu Ausmaß & Folgen sexuellen Kindesmissbrauchs in Auftrag gegeben und die Familienministerin Schröder Kampagnen zu dessen Prävention, wozu auch die Inszenierung eines Kindertheaterstücks zählt.

Ein Kommentar von Kirsten Diercks

Gestern Abend hatte nun dieses Theaterstück gegen sexuellen Missbrauch am Berliner Renaissance-Theater Premiere für ein geladenes Publikum. Eine deutschlandweite zweijährige Tournee durch Schulen soll folgen. Wieder einmal geht es darum, den Kindern klar zu machen, dass sie auf ihre eigene Wahrnehmung vertrauen und „Nein!“ sagen sollen, wenn sie körperliche Annäherungen, gleich welcher Art, nicht mögen.

Also eigentlich alles ganz einfach. Das Kind geht nach der Vorstellung gestärkt und selbstbewusst nach Hause und sagt zukünftig „Nein!“, wenn es mal wieder in seinem Grundrecht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit verletzt wird, und schon hat sein Martyrium ein Ende. Denn natürlich leistet der Erwachsene der Aufforderung des Kindes umgehend Folge, er ist plötzlich nicht mehr größer, stärker, mächtiger und das Kind nicht mehr von ihm abhängig oder ihm ausgeliefert. Es heißt plötzlich seitens des Erwachsenen nicht mehr „Keine Widerrede, sonst…!“. Das Kind soll nicht mehr „Vater und Mutter ehren“, dem Lehrer Gehorsam und dem Pfarrer Respekt entgegen bringen, sondern seinen eigenen Willen durchsetzen.

Ein einfaches „Nein!“ verändert alles. Oder etwa doch nicht?

Geht das Kind vielleicht mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf nach Hause, weil es sich nie trauen würde, nein zu sagen? Fühlt es sich jetzt nicht erst recht schuldig, weil es eben in aller Öffentlichkeit für schuldig erklärt worden ist, hätte es doch einfach nur nein sagen müssen, um den Erwachsenen in seine Grenzen zu verweisen?

Es gibt keine einfachen Lösungen für so etwas Komplexes wie sexualisierte Gewalt, insbesondere wenn die Opfer Kinder sind. Aber es wäre viel einfacher, würde die Gesellschaft den Opfern endlich auf Augenhöhe begegnen, mit ihnen statt über sie reden, ihnen zuhören und sie ernst nehmen.

Auch seitens der Politik werden die Opfer immer wieder zu Objekten gemacht. Man suggeriert ihnen lediglich, dass ein politischer Wille, ihnen wirklich zu helfen und ihre Situation zu verbessern, vorhanden sei durch solche Veranstaltungen wie z.B. den „Dialog Kindesmissbrauch“, bei dem sich Betroffene und Experten über ausgewählte Themen im Bereich sexueller Gewalt austauschen und Handlunsgempfehlungen – Empfehlungen! – an die Politik erarbeiten sollen.

Spätestens seit dem 20. Februar 2013 wissen wir: Es passiert nichts!

Bundeskanzlerin Merkel hat den Runden Tisch im Mai 2010 lediglich auf Druck der Öffentlichkeit ins Leben gerufen, als nämlich deutlich wurde, dass sexualisierte Gewalt nicht die Ausnahme, sondern fast schon die Regel ist. Um die Wogen wieder zu glätten war der Runde Tisch eine Geste, die zeigen sollte: Seht her, wir tun was! Für Opfer war an diesem Tisch zunächst kein Stuhl vorgesehen.

Die frühere Familienministerin Christine Bergmann wurde von der Bundesregierung zur unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung ernannt, mit einer Stimme und Sitz am Runden Tisch. Im Dezember 2011 folgte ihr der Unterabteilungsleiter im Familienministerium, Johannes-Wilhelm Rörig, nach.

Zwar hat auch ihr Nachfolger, Rörig, keine Stimme und kein Sitz am Runden Tisch, wohl aber ein eigenes Budget, über das er frei verfügen kann. Davon veranstaltet er beispeilsweise nicht nur den oben erwähnten „Dialog“, sondern in regelmäßigen Abständen auch einen sogenannten „Jour Fixe für Betroffene“, für die man sich anmelden kann und zu der man dann eingeladen wird.

Vom Ablauf her sieht es so aus, dass zuerst ein Überblick über den aktuellen Sachstand der Arbeit des Unabhängigen Beaufragten gegeben und anschließend darüber diskutiert wird; ein Protokoll darüber wird nicht angefertigt. Nach einer Mittagspause mit kleinem Imbiss erfolgt dann ein Referat zu einem Thema, das der Unabhängige Beauftragte bestimmt; Betroffene habe keine Möglichkeit, auf die Themenauswahl Einfluss zu nehmen, können also nicht ansprechen, was ihnen unter den Nägeln brennt. Um 16:00 Uhr endet die Veranstaltung. Die Reisekosten werden den Teinehmerinnen & Teilnehmern gem. Bundesreisekostengesetzt erstattet – so weit, so gut -, aber jetzt kommt der Haken: „Voraussetzung für die Gewährung von Reisekosten ist die ganztätige Teilnahme am Jour Fixe.“ Man kann also nicht einfach gehen, wenn einem etwas nicht gefällt, es sei denn, man will auf seinen, unter Umständen erheblichen, Fahrtkosten sitzen bleiben. Irgendwie erinnert mich das an eine der kostenlosen Tagesausflüge per Bus, bei denen die Teilnahme an einer Verkaufsveranstaltung für Rheumadecken obligatorisch ist…

Sieht so der verantwortungsvolle Umgang mit unseren Steuergelder und uns als Betroffenen aus? Wollen wir uns das länger gefallen lassen, an derartigen Shows teilnehmen, uns als Statisten benutzen lassen, damit die Politik in der Öffentlichkeit gut da steht und noch immer sagen kann: Seht her, wir tun was!? Wollen wir dieses verlogene Spiel weiter mitspielen und uns vertrösten lassen mit Almosen und auf den berühmten St. Nimmerleins-Tag?

Ja, ich weiß: Einige werden jetzt sagen, dass doch schon mancherlei in die Wege geleitet worden sei und dass wir eben Geduld haben müssten… Ja, wie lange denn noch?

Sind drei Jahre Untätigkeit nicht schon lange genug? Und was sollen diese Demut und Bescheidenheit, die doch sehr an die Haltung eines Opfers erinnern? Warum nicht den Runden Tisch abwickeln und Herrn Rörig zurück an seinen Unterabteilungsleitertisch schicken? Und das dadurch eingesparte Geld direkt den Opfern zukommen lassen? Wäre das nicht eine Forderung für den Bundestagswahlkampf?!

Werden Sie netzwerkB-Fördermitglied – auch beitragsfrei!