Heimkind

Das Kloster in Landshut wurde mein Zuhause. Meine Eltern konnten nicht für mich sorgen und meinten hier ist unser Kind geborgen. Die Nonnen nehmen sich meiner an, doch aus „Liebe“ haben sie es nicht getan.

Was meine Eltern nicht wussten, es ist nicht zu Glauben, für mich fing an dem Tag an das große Grauen.

Für die Nonnen „im Namen des Herrn“ stand das Wort Nächstenliebe nur in der Bibel.

Sie sahen keine Kinderaugen strahlen.

Für die Nonnen waren wir Heimkinder „Ware“. Mit sieben schrubbten und scheuerten wir Töpfe und Böden. Wir bekamen nicht satt, doch die Nonnen waren dick und fett – Schläge gab‘s statt Lob. Viele, viele Tränen – wir weinten uns in den Schlaf. Aber auch im Schlaf gab es keine Ruh. Die Nonnen schauten nach, ob das Hemdchen auch bedeckte den „Popo“. Wenn nicht schlugen sie zu. Auf Rücken und Hintern, so das wir uns vor Schmerzen krümmten.

Ausgeliehen wurden wir an Firmen – mussten Wäsche nähen, stopfen und pflegen. Statt Lohn gab es im Kloster –  Bett, Essen und Trinken. Wer ungeschickt war oder langsam bekam Schläge „ah Watschen“ wie man in Bayern sagt.

Es waren nicht nur die Arbeit und Schläge. Seelische Qualen.

Wir mussten uns nackig in die Ecke stellen.

Die Nonnen versperrten uns den Weg und konnten so an uns ihr Verlangen stillen.

Ein Trauma bis heute!

Bei meiner Aufnahme im Kloster hat ein Arzt in seinem Bericht geschrieben : „4 Monate und zurückgeblieben“.Heimkind und „ah Depp“.Für mich war die niederträchtigste Arbeit grad recht.

So kam ich mit sechzehn Jahren in eine Familie unter. Die Papiere vom Heim waren meine Begleiter. Lohn war  –  Bett, Essen und Trinken. Schläge gab’s auch. Das Leiden ging auch hier seinen Lauf.

Doch mit achtzehn Jahren haute ich ab. Wohin sollte ich mit meinem kleinen Koffer nun? Auf die Bahnschienen und warten auf einen Zug!!

Da sah mich ein vorbeifahrender junger Mann. „Mädchen“, sagte er „was soll das den weer’n“.Ich sagte:“ ich wart auf‘n Zug!“

Der junge Mann nahm mich mit zu seiner Mutter. Hier durfte ich erst arbeiten als Babysitter. Jetzt war ich aufgenommen in andere  Kreise.

Ich kämpfte mich nach vorne, immer weiter. Ich bekam Arbeit in der Steigenberger Hotelkette, wo ich ganz andere Menschen kennenlernte.

Mit achtunddreißig Jahren bekam ich ein Angebot als Reisebegleitung nach Venezuela. Tui Reisen und Condor boten Abenteuer Reisen in den Dschungel an. Die Touren nannten sich „Verlorene Welt“. Und ich nahm das Angebot an.

Zehn bis vierzehn Tage mit Gruppen in den Dschungel. Oh

war das herrlich. Die neue Welt und ich – Irmi – das Kind aus dem Heim und ah Depp noch obendrein  durfte jetzt mit anderen Menschen Natur pur erleben! Ein Glück ohne End.

Ich lernte erst die Indianersprache, dann Spanisch und die Kultur. Mit Flugzeug, Jepp und zu Fuß vierzehn Tage durch den Dschungel. Erlebnisse – davon kann man nur träumen! Wir sahen die größten Wasserfälle der Welt suchten nach Gold und Diamanten. Schliefen bei den Indianern in Hängematten. Saßen drei Tage mit fünfzehn Mann in einem Einbaum  einem Floß. Oft ging es ums nackte Überleben bloß.

Aber – die Irmi – war hier den Einheimischen immer willkommen. Sie hatte auch immer was für sie mitgenommen. Milchpulver für die Babys im Busch und Gummibärchen. Für die Goldwäscher Rum – sie waren gefährlich! So bekam ich auch immer Hilfe wenn es nicht mehr ging weiter. Ein großer Teil von meinem Verdienst gab ich für Geschenke weiter.

Doch Irmi war glücklich in ihrem neuen Leben. Venezuela hat mir eine neue Heimat gegeben.

Dann kam der Krebs – die böse Krankheit und zerstörte mein schönes Leben. Mein erspartes, mein Haus, gingen für Op’s und Chemo drauf. Was nun oh große Not? Hier in diesem Land, krank, ohne Geld – was mach ich bloß?

Ich musste mit Grauen in meine alte Heimat zurück. Mit einem Koffer und hundert Euro im Gepäck. Das Frauenhaus in Frankfurt hat mich aufgenommen. Liebe Menschen haben sich meiner angenommen. Sie bauten mich auf, halfen wo sie nur konnten.

Jetzt mit dreiundsechzig Jahren habe ich in meiner alten Heimat ein Zuhause gefunden. Spare jede Mark für krebskranke Kinder in der Mission von Venezuela. Gebe alles für das Land wo ich gelebt habe, meine schönsten Jahre. Das Trauma aus den Kindertagen muss ich tragen.

Hat damals keiner was gesehen? Wie konnte das geschehen?

Heute habe ich Mut zum Reden. Tausche mich aus mit meinen männlichen Leidenskollegen. Und kämpfe für mein, für unser Recht.

Im Namen des Herrn – es ist wahr – was mir in meiner Kindheit geschah!

Irmi

Ich habe Irmi ( Adresse bekannt) in der Kur in Bad Wildungen kennen gelernt. Und beschloss ihre Geschichte aufzuschreiben.

Im Namen des Herrn wie sie sagt.

Wie konnte so etwas geschehen?

H. Ulferts 2013