Stellungnahme zum „Hilfeportal Sexueller Missbrauch“ (www.hilfeportal-missbrauch.de)

Stand 20.06.2013 (als PDF herunterladen)

Zunächst ist anzumerken, dass der „Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauch“ und seine Mitarbeiter auf dem Begriff „Sexueller Missbrauch“ beharren, was sich auch in der Wahl der Domain, die ja wahrscheinlich jahrzehntelang im Netz bleiben soll, zeigt. Der Begriff „Sexueller Missbrauch“ wurde unglücklicherweise in den 1990er-Jahren so geprägt und trägt ein falsches Bild der Problematik in die Welt. In Fachkreisen hat sich längst der Begriff „Sexualisierte Gewalt“ oder „Sexuelle Gewalt“ durchgesetzt, der die Verbrechen besser beschreibt und klarmacht, dass es um Gewalt und nicht um einen falschen Gebrauch geht. Es ist unverständlich, warum nicht zumindest die Option einer Begriffsänderung erhalten wurde mit der Wahl eines neutraleren Domainnamens, der sich einem Begriffswandel nicht verschliesst.

Weiterhin fragen wir uns, wie die verlinkten Vereine, Organisationen, TherapeutInnen und sonstige Beratungsangebote ausgewählt wurden und werden. Als Partner sind zwar zahlreiche kompetente Vereinigungen genannt, doch es bleibt intransparent, wer über die Angebote entscheidet und welche Qualifikationsmerkmale ein Hilfsangebot aufweisen muss, um im Hilfeportal genannt zu werden. Nach unserem Kenntnisstand gibt es derzeit keine wissenschaftliche Forschung darüber, wie ein Zertifikat für die Qualitätssicherung von Beratungsangeboten aussehen sollte. Eine solche Zertifizierung ist nötig, da sich Pädokriminelle auch in sogenannte Hilfsangeboten organisieren, um so leichter an kindliche Opfer heranzukommen.

Klickt man sich durch die Seiten die sich an erwachsene Betroffene richten, könnte man sich eigentlich gut aufgehoben fühlen. Man findet Aufklärung über Traumata, Tipps dafür wie man einen Therapeuten finden kann, und wenn die Warteliste für Therapeuten mit Kassenzulassung zu lang ist, gibt es schließlich noch die Möglichkeit, von der Krankenkasse auch einen nicht-zugelassenen Therapeuten bezahlt zu bekommen.

Bei dem Thema ‚finanzielle Hilfen‘ schöpft der lesende Betroffene dann wirklich Hoffnung:

„Opfer sexuellen Missbrauchs können Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) haben. Staatliche Leistungen stehen Betroffenen bei Gewalttaten im Inland für Gesundheitsschäden sowie für die wirtschaftlichen Folgen der Tat zu.”

“Welche Leistungen man beanspruchen kann, hängt unter anderem von der Art der Schädigung ab. Auch psychische Gesundheitsschäden fallen unter das OEG. Zum Leistungskatalog gehören zum Beispiel

  • Heil- und Krankenbehandlungen (auch Psychotherapie),
  • Rentenleistungen (abhängig von der Schwere der Schädigungsfolgen und gegebenenfalls vom Einkommen),
  • Fürsorgeleistungen, bei Bedarf durch besondere Hilfen im Einzelfall (z. B. zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur Pflege, zur Weiterführung des Haushalts sowie ergänzend zum Lebensunterhalt),
  • Rehabilitationsmaßnahmen (z. B. Kuraufenthalte).

Der Leistungsumfang des OEG ist zum Teil größer als bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Zum Beispiel sind keine Zuzahlungen zu erbringen, Fahrtkosten zum Arzt werden erstattet und gegebenenfalls können zu den verordneten zusätzliche Therapiestunden bewilligt werden.”

(http://www.hilfeportal-missbrauch.de/informationen/uebersicht-hilfe-und-beratung/finanzielle-hilfen.html)

Also scheint es doch Hilfe zu geben: bezahlte Therapie, die Möglichkeit, Bildung und Berufsausbildung nachzuholen (wer Hilfe für Haushalt und z.B. Kinderversorgung benötigt während der Zeit, kann die auch beantragen), Bezahlung von Rentenleistungen– für all die Jahre versäumter Rentenvorsorge, auch die Beantragung einer Kur ist möglich, nur um sich zu erholen von der lebenslangen Belastung, die man schon hinter sich hat.

Doch die Realität sieht leider anders aus. Diejenigen, die bereits einen Antrag nach dem OEG gestellt haben, berichten: erstens werden OEG Anträge im Regelfall zunächst abgelehnt, die Begutachtungen sind erniedrigend für die Betroffenen, ihre Situation ist grundsätzlich die eines Bittstellers, und wenn es Hilfe gibt, dann nur auf dem untersten wirtschaftlichen Niveau. Eine lebenslange – auch wirtschaftliche – ‚Bestrafung‘ dafür, dass man als Kind Gewalt ausgesetzt war.

Wir fragen uns wie es sein kann, dass derlei Realitäten zum UBSKM noch nicht durchgedrungen sind? Nach all den Treffen und Gesprächen mit Betroffenen, lesen sich diese Seiten wie reiner Hohn.

In den Texten des Portals wird deutlich, dass das Angebot in erster Linie auf Fälle abzielt, die nicht in der Familie geschehen, da fast immer Eltern als (potentiell) Helfende erwähnt werden. Was aber wenn Eltern selbst die Täter sind? 80 % der Fälle von sexualisierter Gewalt geschehen innerhalb der Familien, oft sind Eltern TäterInnen oder MitwisserInnen (von letzteren kann auch keine Hilfe erwartet werden). Daher stellt sich für uns die Frage, warum diese 80 % der Opfer ausgegrenzt bzw. ignoriert werden.

Zwar gibt es eine Überschrift „Sexueller Missbrauch in der Familie: Hilfen für Angehörige und das soziale Umfeld“, doch wird nicht auf diese spezielle (und häufige!) Problematik eingegangen. Sätze wie „Verdacht auf Missbrauch: (…) Ein Mädchen oder ein Junge, das beziehungsweise der sich plötzlich verändert, braucht – unabhängig von der Ursache – die Aufmerksamkeit seiner Eltern oder anderer Menschen, die ihm nahestehen.“ müssen in den Ohren der Opfer von sexualisierter Gewalt in der Familie wie Hohn klingen.

Auf innerfamiliäre strukturelle Voraussetzungen für sexualisierte Gewalt wird nicht eingegangen. Auch vermissen wir die Erwähnung von körperlicher und psychischer Gewalt als eine solche strukturelle Voraussetzung.

Die Haltung mit der Aufklärung und Prävention betrieben wird ist geprägt von einer unterschwelligen Beschuldigung der Kinder, sich nicht genügend zur Wehr gesetzt zu haben bzw. die Aufforderung an die Kinder, NEIN zu sagen. Nicht untersucht werden die Ursachen, warum Kinder (ganz besonders bei außerfamiliären Tätern) nicht NEIN sagen können. Kinder, die in Familien Gewalt erleben, gleich weder Art, können nicht NEIN sagen und werden daher leichter Opfer von Fremdtätern. Und hier sehen wir einen wesentlichen Kernpunkt, an dem Prävention anknüpfen müsste: Aufklärung über Gewalt in Familien, über den diesbezüglich faktisch rechtsfreien Raum, über strukturelle Voraussetzungen dafür. Des Weiteren müsste es darauf aufbauend Hilfen für Eltern geben, die bereits als gewalttätig aufgefallen sind oder in Gefahr sind es zu werden.

Wie sich das Portal in seiner jetzigen Form darstellt, reflektiert es nicht den derzeitigen Kenntnisstand über die Problematik sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Der Ansatz ist oberflächlich und nicht durchdacht, die grundlegenden Ursachen werden nicht analysiert, 80% der Betroffenen werden ausgeblendet. Ein wirksames Konzept sieht anders aus.


Jetzt netzwerkB noch stärker machen …