Die Verjährungsfristen aufheben und Einführung der Anzeige- und Meldepflicht bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder als wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen

Ein Beitrag von Beate Lindemann-Weyand

Einem Kind wird sexualisierte Gewalt angetan, oft über Jahre, oft von verschiedenen Tätern. Viele Kinder finden  in ihrer Familie und dem Umfeld keine Hilfe. Oft wollen die Erwachsenen nicht sehen, was wirklich geschieht. Aus unterschiedlichen Gründen – einer davon ist, dass wenn man hinsieht, man sich des eigenen erlittenen Leides bewusst werden würde. So verleugnet man, damit es nicht wahr ist.

Es ist gegenüber der  Kinder und später Erwachsenen eine weitere folgenreiche Katastrophe, dass sie nicht gehört werden, trotz ihrer stummen Schreie, ihrer vielen Hinweisen, denn Kinder schweigen nicht, es ist vielmehr so, dass die Erwachsenen nicht zuhören und hinsehen. Und so handeln sie auch nicht.

Sich diesem Kind wirklich zu widmen setzt aber nun einmal voraus sich mit sexualisierter Gewalt auseinanderzusetzen, mit der Täterschaft des geliebten Menschen, mit dem Abgrund der Kindheit, damit, dass man dem vertraut hat, der des Vertrauens nicht würdig ist. Man war vielleicht naiv, aber auch blind vor Angst das alte eigene schlummernde Geheimnis aufzudecken und den Schmerz der Stachel der Dornen wieder zu spüren, die sich um Leib und Leben geschlungen hatten.

Sich mit sexualisierter Gewalt gegen das eigentlich-Liebste auseinanderzusetzen, bedeutet auch außerhalb der Familie auf Land zu treffen, das nicht trägt, auf ein Umfeld, das schweigt und das Gesagte irgendwohin absorbiert, bis es stumm im Kompost des Verdrängens einsickert.

Es gibt sie, die Menschen, die  helfen nach sexualisierter Gewalt, aber auch sie sind nur beherzte Menschen, und können nicht  das gesellschaftliche und familiäre Gefüge über Nacht verändern. Der Täter kann es leider schon: eine ganze wunderbare wachsende, entdeckende, vertrauensvolle Welt über Nacht verändern und verstümmeln, für immer!

Das was in der Familie stattfindet, kann auf die Gesellschaft abgepaust werden. Es findet sich überall wieder, denn es sind Spiegel, Spiegel der Familie, Abbilder, nur größer, nur weiter gefasst.  Auch im breiten Facettenkreis der Gesellschaft wird zum Schweigen gebracht.

Man könnte ob dieser gefühlten und erfahrenen Machtlosigkeit manches Mal wirklich den Mut verlieren. Aber nur wenn man nicht genau hinsieht und die kleinen Schritte übersieht, wenn man vergisst, wie viele Schritte schon gemacht wurden. Und wenn man zu viel von anderen erwartet, oder das Falsche oder zu schnell.

Das Thema der sexualisierten Gewalt ist nicht nur für uns Betroffene schwer, es ist für alle schwer, denn es ist ein furchtbares Verbrechen! Und es hat lange gedauert, bis diese Erkenntnis nach oben durfte – und es gibt Kräfte, die dies immer noch verhindern möchten, weil sie viel zu verlieren haben. Warum darüber wundern? Täter und in das Umfeld täterfreundlicher Landschaften eingestrickte Mitläufer werden wohl nie offenbaren wollen, was einst geschah – sie würden all das verlieren, was augenblicklich vor allem die Betroffenen verlieren oder gar nicht erst erreichen: Macht, Amt, Würden, Karriere,  „Freunde“, Anerkennung, familiäres Sicherheitsnetz, Geld, Ansehen und so weiter…

Verhindert und gebremst wird nicht nur die konsequente Hilfe für Kinder und heutige Erwachsene, die einst Kinder waren. Nein, es wird auch durch die politische und gesellschaftliche Bremserei verhindert, dass ehemalige Opfer nicht zu Tätern werden. Kindliche Opfer werden nicht erkannt, sie dürfen nicht auf den Täter als Schuldigen zeigen, zusammen mit der Familie, der Gesellschaft, die dem Kind solidarisch den Rücken stärkt. Auch erwachsene Betroffene dürfen es nach der Verjährung nicht mehr.

Merkwürdig fühlt es sich an, sein Leben lang an den Folgen zu leiden und mühsamst sein eigenes Leben wieder zu erobern, während der Täter sich seines angerichteten Verbrechens am Kinderleben nicht stellen muss! Als wäre es nie geschehen. Sein tiefstes Inneres weiß es aber immer, genauso wie es der Betroffene für immer weiß, denn die Tat ist geschehen! Aber so lange die Gesellschaft nicht sehen will, wird das erwachsene Kind, stellvertretend für die, die es eigentlich hätten schützen müssen, mit dem Finger ins Leere zeigen müssen. Der Täter und seine Helfer werden es nur in Ausnahmefällen offenlegen, das ist Mal gewiss!

Kindern wird nicht gezeigt, dass ihnen ein Verbrechen widerfuhr, im Gegenteil, der Täter hat weiterhin allen Raum, während das Kind die realen Lebensräume verlassen hat, in sein eigenes Inneres, vielleicht bis in seinen Kern hineinkroch, um nicht zu sterben.

Sexualisierte Gewalt kann tödlich sein und ist es auch!

Manche sterben während ihrer Kindheit und Jugend und nehmen die Identität ihres Täters an. Da ist niemand, der sagt: das ist falsch, und das ist richtig. Nur der Täter, der tut was er tut.

Manches Kind kann nur überleben, indem es diese vorgelebte, also vorbildliche Identität übernimmt. Vielleicht einmal zu viel Zerstörung, einmal zu viel sterben – jetzt geht nur noch Täter sein, nie wieder klein und schwach, nie wieder das Kind sein! Vielleicht der letzte Überlebensschrei – aber Leben wird es keines mehr sein!

Vielleicht, ganz vielleicht trifft der Jugendliche einen Menschen, der sagt: „hör Mal, was tust oder denkst Du da? Das darfst Du nicht, das ist Unrecht. „Der aber vielleicht auch zuhört, das erste Mal, und das erste Mal sagt jemand: „es ist so viel Unrecht, was man Dir zufügte. Gehe Du nicht über diese Schwelle, bleib stehen, bleib bei uns, das bist nicht DU, das ist der Täter!“ Vielleicht wird der Jugendliche durch diese eine einzige Begegnung umkehren?

Aufdecken, konsequent strafen, Verjährungsfrist für alle diese Taten aufheben – DAS ist Prävention!

Klar, es ist lobenswert und gut, Kindern zu sagen: Du, das  ist Dein Körper, niemand darf daran etwas tun, das Du nicht möchtest. Aber das ist schlicht gut abdeckende Kosmetik gegenüber einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Teufelskreis Opfer-Täter-Opfer-Täter, auch von uns Betroffenen, die wir auch zu Tätern werden können, genauso wie Herr Hinz und Frau Kunz!

Politiker könnten sich endlich ernsthaft für Gesetze einsetzen, die den Namen „Kinderschutz“ auch verdient haben und somit ein gesellschaftliches Klima schaffen, in dem Kinder wirksam und vorbildhaft geschützt werden, ohne bloße und feige Feigenblätter aus „sag nein mein Kind“.

Die Gesellschaft wird lernen müssen sich den Kindern als ihren eigenen kostbaren Kindern zuzuwenden und den Betroffenen als den beschützenswerten Kindern von damals, die von der Gesellschaft „außer Sicht“ gestellt und damit gesellschaftlich vernachlässigt und Jahrzehnte – und wenn man weiter zurückblickt, jahrhundertelang, auf diese Weise misshandelt wurden.

Es ist doch wie mit der Natur, man muss sie schützen, man darf nicht dabei zusehen, wie sie stirbt. Unsere Kinder müssten uns nahe genug sein um für sie wie für Greenpeace einzuspringen!

Der Schock und der Schrecken über diese uralte verbrecherische Unsäglichkeit ist groß – aber er ist überwindbar, indem alle ihre eigenen Schatten aufarbeiten, indem Tatsachen geschaffen werden, die nicht mehr übergangen werden können: Gesetze zum Beispiel.

Wir Erwachsenen müssen NEIN zur Täterschaft und zum Täter sagen, wir alle, Betroffene und nicht Betroffene! Die Verjährungsfristen sind aufzuheben und durch die Anzeigepflicht ist endlich konsequentes Handeln und ein anderes gesellschaftliches Bewusstsein zu schaffen.

Es wird eine Schmelze der Erstarrungen verursachen, auch Kreisläufe der Täterschaften werden stoppen, denn die Opfer von damals werden handeln können, werden mit den Fingern auf das Unrecht der Täter zeigen können. Eine der wertvollsten und hilfreichsten Bewegungen am Beginn eines neuen Weges innerhalb unserer Gesellschaftsfamilie!


Jetzt netzwerkB unterstützen!
Hier können Sie spenden und Mitglied werden …