Hoffen auf Franziskus: Rund 400 Priester wurden in den Jahren 2011 und 2012 in den Laienstand versetzt, weil sie sich an Minderjährigen vergangen hatten. Norbert Denef, selbst ein Betroffener sexueller Gewalt, wartet aber auf einen echten Akt der Versöhnung. In einem Brief hat er den Papst aufgerufen, den Täter-Opfer-Kreislauf zu durchbrechen.

Freitag, 24. Januar 2014

Franziskus Superstar? Norbert Denef versuchte im November 2013 bei einer Papstaudienz in Rom vergeblich, das Kirchenoberhaupt auf sein Anliegen aufmerksam zu machen. Foto: privat

Erstmalig mussten sich in der vergangenen Woche Vertreter des Vatikans den Fragen des UN-Kinderrechtskomitees stellen. Denn bislang hat sich die Kirche geweigert, genaue Angaben über die Zahl und den Umgang mit den Tausenden Fällen des Missbrauchs Minderjähriger durch katholische Geistliche zu machen. Kritik übten die UN-Kinderrechtsexperten unter anderem daran, dass manche Geistliche bis heute nicht aus dem Kirchendienst entfernt worden seien.

Norbert Denef glaubt, dass es einen gemeinsamen Weg für die unzähligen Betroffenen und die katholische Kirche geben kann. In einem Brief an Franziskus hat der 64-Jährige das Kirchenoberhaupt dazu aufgefordert, sich an einer Stiftung gegen die Vertuschung von sexualisierter Gewalt zu beteiligen. „Ein Akt der Versöhnung ist dringend geboten, um über Brücken zu gehen, wo die Wege bisher versperrt sind“, schreibt er in seinem am Donnerstag in der ZEIT veröffentlichten Appell an den Papst.

Herr Denef, Sie wollen eine Stiftung gegen das Verschweigen und Verleugnen von sexualisierter Gewalt gründen. Warum?

Norbert Denef: Weil Opfer von sexualisierter Gewalt es in der Regel nicht alleine schaffen, ihre Schweigemauer zu durchbrechen. Sie sind auf Hilfe angewiesen – auf Personen, die sich in der Öffentlichkeit gegen das Verschweigen, Verleugnen und Vertuschen von sexualisierter Gewalt einsetzen. Das erfordert Mut und diesen gilt es zu unterstützen – genau das soll die Stiftung leisten, indem sie einen Preis ausschreibt, der an Personen vergeben wird, die außergewöhnliches leisten, um Opfern von sexualisierter Gewalt zu helfen, ihr Schweigen zu brechen.

Warum reichen die staatlichen Strafverfolgungsbehörden nicht aus?

Bei stattlichen Strafverfolgungsbehörden geht es immer nur um die Täter. Opfer treten nur als Zeugen in Erscheinung. Deshalb sprechen wir ja auch von Täterschutzgesetzen – mit Opferschutz haben Strafverfolgungsbehörden nichts zu tun.

Welche Aufgaben soll die Stiftung einmal haben?

Die Stiftung möchte Transparenz fördern und fordern, insbesondere bei Berufsgruppen, die viel mit Kindern und Schutzbefohlenen zu tun haben, also Erzieher, Lehrer, Geistliche, Ärzte und Psychotherapeuten, Anwälte und Richter. Und bei denen die Gefahr einer Vertuschung besteht, weil aus Korpsgeist Täter geschützt werden und Opfer dadurch bei der Aufarbeitung ihres Traumas massiv behindert werden.

Warum sollte die Kirche etwas finanzieren, dessen Ergebnisse gegen sie verwendet werden könnten? Eine Logik der geringen Opferentschädigungen erscheint doch einleuchtend: Wenn man den Opfern mehr Geld gibt, werden sie das gegen die Kirche einsetzen. Also besser möglichst geringe Entschädigungen zahlen.

Das Bistum Magdeburg schuldet mir 450.000 Euro. Diese Forderung habe ich bereits im Februar 2003 gestellt. Mit diesem Geld beabsichtige ich, die Stiftung zu gründen. Es wäre ein Akt der Versöhnung, wenn nicht nur das Bistum Magdeburg in diese Stiftung einzahlt, sondern wenn auch das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche es tut. Wenn Papst Franziskus hier eine Vorreiterrolle einnehmen würde und auch andere Staatsoberhäupter und Prominente bittet, das gleiche zu tun – dann könnte ein Akt der Versöhnung stattfinden. Es geht nicht nur um den Skandal des Missbrauchs Minderjähriger innerhalb der katholischen Kirche.

Sondern?

Die meisten Opfer gibt es ja im familiären Bereich, die sehr oft mit der Kirche nichts zu tun haben. Die Stiftung geht uns alle etwas an. Mit dem Geld, was mir die Kirche schuldet, möchte ich lediglich einen Grundstein legen. Wir sollten alle unser Ich-Denken überprüfen und uns fragen: Was kann ich persönlich für die Gesellschaft tun? Ohne danach zu fragen: Was bekomme ich zurück? Dadurch werden die Schwachen automatisch mitgetragen. Und wenn diese dann später vielleicht einmal selbst wieder Kraft haben, um anderen zu helfen, dann wird unsere Gesellschaft menschlicher. Versöhnen sollte man nicht mit unterordnen verwechseln. Es geht darum, auf Augenhöhe vertrauensvoll gemeinsam neue Wege zu suchen. Ob man kirchlich gebunden ist oder nicht, sollte dabei keine Rolle spielen. Es geht um unsere Kinder.

Sie haben zu Beginn der Ermittlungen in Deutschland selbst einmal über die Rolle der Kirche bei der Aufklärung gesagt: „Man würde ja auch nicht die Mafia bitten, ihre eigenen Verbrechen aufzuklären.“

Die Stiftung würde ja eigenständig und neutral arbeiten, ähnlich wie die Nobelpreisstiftung. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass Täterorganisationen die Preisvergabe beeinflussen.

Warum hat die Öffentlichkeit so wenig Interesse an dem Schicksal der Betroffenen und warum sind so wenig Menschen bereit, persönlich finanziell etwas in die Aufarbeitung und den Schutz potentieller Betroffener zu investieren?

Wenn man sich mit dem Leid anderer Menschen beschäftigt, wird man dadurch automatisch an seine eigene Geschichte erinnert. Denn es gibt keinen Menschen, der nicht irgendwann mal in seinem Leben etwas Schmerzliches erlebt hat. Ist man bemüht seine eigene Geschichte aufzuarbeiten, kommt der Schmerz nicht unkontrolliert hoch, sondern man kann damit relativ gut umgehen. Immer wenn man sich ärgert sollte man in seiner eigenen Geschichte nachschauen.  Für mich persönlich gilt der Satz: Wenn Du Dich ärgerst, guck bei Dir nach! Das Leid vor der eigenen Haustür macht Angst – deshalb schaut man lieber darüber hinweg.

Sie haben nun einen Brief an Papst Franziskus geschrieben, nachdem Ihr Versuch vor wenigen Wochen, ihn persönlich zu treffen, fehlgeschlagen ist. Glauben Sie, dass Franziskus ein echtes Interesse an Ihren Anliegen und Hoffnungen besitzt?

Ja.

Warum?

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Wie verliefen denn Ihre Kontakte mit anderen Vertretern der Kirchen?

Der Bischof von Magdeburg wollte mich 2003 mit 25.000 Euro wieder zum Schweigen bringen – gesprochen hat er mit mir bis heute kein einziges Wort.

Erwarten Sie von Papst Franziskus mehr als von Benedikt XVI.?

Ja.

Welche Unterstützung erfahren Sie aus den politischen Parteien?

Keine.

Und wie erleben Sie das Interesse der Medien?

Ein großer Teil der Redakteure zeigen nach wie vor Interesse, dass die Opfer nicht wieder allein im Regen stehen müssen. Sie sind bestrebt, dass die Schweigemauer Risse bekommt. Viel zu oft werden sie jedoch von ihren Vorgesetzten gebremst, manchmal auch gemobbt und entlassen.

Können Sie ein Minimum nennen, das Sie mit der Arbeit von netzwerkB erreichen wollen?

Die Aufhebung der Verjährungsfristen, eine Melde- und Anzeigepflicht, keine Almosen sondern eine angemessene Entschädigung für die Opfer und deren Angehörigen, so wie die Gründung der Stiftung, wie oben beschrieben.

Gibt es so etwas wie eine gemeinsame Utopie?

Alles muss raus – denn Leichen, die im Verborgenen liegen bleiben, verhalten sich wie ein Krebsgeschwür.

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Kurzporträt: Norbert Denef, Gründer und Vorsitzender von netzwerkB

In unseren Archiven finden sich Dokumente, die belegen, dass sexuelle Gewalt bei Priestern schon vor 100 Jahren nicht nur existierte, sondern auch ein Thema war, das in manchen Kreisen offen thematisiert wurde. Halten Sie es für denkbar, dass der sexuelle Missbrauch in gewisser Weise einfach zum Wesen der Kirche gehört?

Nein, denn „sexuellen Missbrauch“ gab bzw. gibt es ja nicht nur in der Kirche. Ganz besonders ist diese Form von Gewalt in den Familien zu finden. Wir müssen die Kirche im Dorf lassen und uns endlich zusammenraufen und uns auf die Seite der Opfer stellen und ihr Leid würdevoll anerkennen und sie nicht mehr verschweigen, verleugnen und vertuschen wie bisher. Von den Kirchen erwarte ich hier eine Vorreiterrolle. Opfer mit 5.000 Euro abzufinden und dann möglichst schnell wieder den Deckel zumachen – Jesus hätte diese Heuchler bestimmt aus dem Tempel geworfen.

Wenn es in Zukunft keine sexuelle Gewalt in der Kirche und keine Vertuschung mehr gebe, wäre das rückblickend betrachtet wohl eine historische Zäsur. Wie soll es dazu kommen, falls die Gründung der Stiftung gegen das Verleugnen und Vertuschen nicht gelingt?

Die Stiftung wird kommen! Jede Mauer bekommt irgendwann einmal Risse.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine persönliche Frage: Woran denken Sie am Ende des Tages, bevor Sie einschlafen? Was gibt Ihnen Kraft und Hoffnung bei Ihrem Kampf?

Ich sorge tagsüber dafür, mit Sport und einer gesunden Lebensweise, dass ich abends müde bin und mich hinlege und gleich einschlafe, ohne viel über den vergangenen Tag nachzudenken. Oft werde ich nachts wegen schrecklicher Albträume wach, da denke ich viel nach. Morgens gehe ich dann in die Ostsee schwimmen, auch im Winter – ich schöpfe viel Kraft und Hoffnung aus dem unendlich weiten Meer.

Herr Denef, vielen Dank für Ihre Zeit.

www.netzwerkb.org

Quelle: http://www.diesseits.de/