Andreas Stark, ein Langzeit-Betroffener, hat beim „Liberalen Stammtisch“ der FDP einige Standpunkte gesetzt

„Versagt der Staat bei den Opfern sexualisierter Gewalt?“ So lautete die Frage, mit der sich der Sucht- und Soziotherapeut Andreas Stark beim Liberalen Stammtisch im „Jägerstüble“ auseinandersetzte. Die eindeutige Antwort des als Kind selbst Missbrauchten lautet „Ja“.

MONIKA SCHWARZ

Freudenstadt. Zunächst sprach Andreas Stark dem Kreisverbandsvorsitzenden Timm Kern seinen Respekt dafür aus, dem Thema diesen Abend zu widmen – das traue sich normalerweise kaum jemand.

Eigene Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt hat Stark nicht nur in der Opferrolle gemacht, sondern auch als Therapeut in der Arbeit mit Betroffenen. Dass eine Tageszeitung die Berichterstattung mit Verweis auf den fehlenden Regionalbezug des Themas abgelehnt hatte, empörte ihn – auch in Anbetracht der ihm bekannten Fälle im Kreis. Dies sei auch ein Aspekt dessen, wie mit der Thematik fälschlicherweise verfahren wird.

Laut Statistik des BKA sind allein im vergangenen Jahr 14 877 Fälle sexualisierter Gewalt an Kindern unter 14 Jahren bekannt geworden. Der heute 53-Jährige war selbst noch ein Kind, als ihm das widerfuhr. Stark schilderte seine grausamen Erlebnisse ohne Tabu. Dass er heute so darüber reden kann, hat Jahre und Jahrzehnte gebraucht. Das Wort Missbrauch benutzt er nicht. Missbrauch bringe nicht das zum Ausdruck, was da tatsächlich geschieht. Missbrauch setze immer auch Gebrauch im positiven Sinne voraus. Den gebe es in einem solchen Fall aber nicht. Das Wort Missbrauchsbeauftragter sei ein Schlag ins Gesicht eines jeden Opfers.

Dass der Mensch, der ihm das angetan hat, kein Fremder gewesen ist, macht Starks Leben in der Folge nicht einfacher. „Ich habe mich bei ihm in Sicherheit gefühlt, er stand für geregeltes Essen, für geregelte Freizeit“, erzählt Stark. In jener Zeit sei deshalb nicht nur sei- ne Seele gestorben, sondern gleichermaßen sein Vertrauen zu den Menschen. Das Kind Andreas sei deshalb in den 70-ern „gestorben“. Noch heute sei es normal, dass sei- ne Frau ihn nie mit seinem Namen anspricht. Sie wisse um sein Problem. Sie sei auch diejenige, die vieles verstehen und vor allem unendlich viel Geduld haben müsse. Geduld deshalb, weil Stark keine fremde Haut auf seinem Körper erträgt. Infolge der der traumatischen Kindheitserlebnisse ist Stark sogar zum Junkie geworden, hat das Leben nur noch in der Sucht ertragen.

Die damals entgangenen Rentenbeiträge, die ihm im Alter fehlen werden – Stark war nicht in der Lage gewesen, einer Beschäftigung nachzugehen – will er – Stichwort Opferentschädigung – gerne diskutiert haben.

Für Stark und viele seiner Mitstreiter, die ein Leben lang unter Folgen leiden, sind die Verjährungsfristen bei sexueller Gewalt völlig unverständlich. Umso mehr, als viele Betroffene erst nach Jahrzehnten überhaupt über das Erlebte sprechen und sich anderen gegenüber öffnen können.

Bundesjustizminister Heiko Maas habe vor seiner Wahl versprochen, für die absolute Aufhebung der Verjährungsfristen zu kämpfen, jetzt sei er mit seinem Gesetzesentwurf so zurückgerudert, dass er sich mit seinen Rechten nicht mehr vertreten fühlt, so Stark.

Das Wort „Pädophile“ nimmt der Referent nicht in den Mund. Weil es für Menschen stehe, die Kinder liebten. Leite eine Justizministerin Runde Tische für Opfer sexualisierter Gewalt bei gleichzeitiger Mitgliedschaft in einer Humanistischen Union – das Beispiel der ehemaligen Ministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) –, dann müsse man sich nicht wundern, dass er da sofort aus der FDP ausgetreten sei.

Anhand einer publizierten Doktorarbeit belegt Stark, dass mehr als 90 Prozent der zugelassenen Psychotherapeuten die Behandlung von Opfern sexualisierter Gewalt ablehnen. Weil die die ganze Vielfalt psychischer Störungen in sich tragen und deshalb schlecht zu rechnen sind, so seine Interpretation.

Deshalb gebe es deutschlandweit auch nur eine einzige Klinik, die sich genau mit diesem Krankheitsbild auseinandersetzt. Und nur eine einzige Krankenkasse, die die Kosten dafür auch trägt.

Was sich Andreas Stark wünscht, ist Beachtung. Beachtung seiner Person mit all dem, was da passiert ist. Und die Erkenntnis, dass „Betroffensein“ ein Leben lang Bedeutung hat. Darüber spreche man derzeit nämlich nicht.

Dass das Thema die Zuhörer sehr berührt hatte, das zeigte die anschließende Diskussion mit vielen Fragen. „Wir gehen heute anders hier raus, als wir reingekommen sind“, lautete am Ende auch das Fazit von Dr. Timm Kern.

Quelle: Neckar Chronik – 26.09.2014