Wie sieht es mit der Aufklärung aus?

Von Ebba Hagenberg-Miliu

Am 28. Januar 2010 erschütterte eine Nachricht aus dem Berliner Canisius-Kolleg die Republik: „Patres des Jesuitenordens haben Schüler missbraucht.“

Rektor Klaus Mertes, ehemaliger Schüler des Bonner Aloisiuskollegs (Ako), war mit Betroffenen an die Öffentlichkeit gegangen. In den Strudel gerieten viele Institutionen: darunter in Bonn das Collegium Josephinum das ehemalige St. Ludwig Kolleg der Franziskaner-Minoriten und das evangelische Godesheim, das Benediktinerkloster Ettal und die hessische Odenwaldschule.

Auch das ehemalige Rheinbacher Pallottiner-Internat St. Albert entpuppte sich als Tatort: Hier outete sich BAP-Sänger Wolfgang Niedecken als Betroffener. Eine Lawine war losgetreten. Unzählige Menschen traten aus den Kirchen aus. Wo stehen wir fünf Jahre danach?

Was unternahm die Katholische Kirche?

Sie öffnete erst einmal eine Hotline, bei der sich alsbald 1824 Betroffene meldeten. Dann legte die Deutsche Bischofskonferenz bei der Aufarbeitung einen glatten Fehlstart hin: 2013 ging sie mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer im Streit auseinander. 2014 holte sich der Missbrauchsbeauftragte Bischof Stephan Ackermann für eine neue Studie gleich ein ganzes Forscherteam an Bord. Die Katholische Kirche sei nicht in Schockstarre gefallen, sondern handle, verbreitete Ackermann kürzlich. Die Kirche befinde sich in einem Lernprozess, der noch nicht abgeschlossen sei.

Was leistet die katholische Studie?

Seit 2014 stehen in dieser Studie Betroffenenberichte im Fokus, um endlich „die Wahrheit aufzudecken“. Ob dafür heute aber wirklich noch alle Akten zu finden sind, ist unklar. Bislang sagten 46 Betroffene und sechs Beschuldigte aus. Männer und Frauen, die von der Beteiligung inzwischen enttäuscht absehen, beklagen im Gespräch mit dem GA, dass in Bischof Ackermanns Beirat nur ein einziger Betroffener vertreten und das Forscherteam einseitig nur mit Pathologen besetzt sei. „Was soll da rauskommen? Der Blick nur auf einzelne kranke Täter? Eine Ablenkung von den kranken Systemen Orden und Kirche? Schade um das viele Geld.“

Was tut die Bundesregierung?

Im März 2010 ernannte sie mit Christine Bergmann, ab 2011 mit Johannes-Wilhelm Rörig Unabhängige Beauftragte für die Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Die richteten Runde Tische und eine Anlaufstelle ein, in der mehr als 22.000 Betroffene aufliefen. Ob in Familien, Vereinen, Schulen, katholischen und evangelischen Einrichtungen oder Heimen: Die Zahl derer, die sich bekannten, nahm eklatant zu. Die Sensibilität in Kitas, Schulen, Kirchengemeinden und Sportvereinen sei inzwischen gewachsen, ein Fonds aufgelegt, Verjährungsfristen seien verlängert worden, resümiert Rörig. „Doch der Skandal dauert an. Der Schutz der Kinder vor sexueller Gewalt ist noch lange nicht gelebter Alltag.“

Hat sich die Gesetzgebung geändert?

Für Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen gelten seit 2013 Verjährungsfristen zwischen fünf und dreißig Jahren. Bei Betroffenen laufen sie ab Vollendung des 21. Lebensjahres an. Ende 2014 beschloss der Bundestag im Zuge der Edathy-Affäre eine Verschärfung des Sexualstrafrechts zum Nacktfotografieren von Minderjährigen. Demnach gelten nun auch sogenannte Posing-Bilder, die etwa auch ein Ako-Pater schoss, als strafbare Kinderpornografie.

Was sagen die Opferverbände?

Norbert Denef vom netzwerkB lässt an den bisherigen Bemühungen kein gutes Haar. „Wir sind enttäuscht. Seit Anfang 2010 wird an Runden Tischen geredet und viel Papier erzeugt – geändert hat sich für die Betroffenen nicht wirklich etwas“, sagt Denef. Der Bund wage sich nicht daran, Schluss mit dem Täterschutz zu machen. Verjährungsfristen würden nicht aufgehoben.

Melde- und Anzeigepflicht gebe es nicht. „Nach wie vor wird verschwiegen, verleugnet und vertuscht“, so Denef. Weiter lesen…