Anstaltsdirektor und Abolitionist Thomas Galli in Brandenburg willkommen

Interview mit Stefan Ludwig, Minister für Justiz, Europa und Verbraucherschutz in Brandenburg

TP: Herr Minister Ludwig, in Facebook postete jemand: Weil sich nichts ändert, mache ich mit. Könnte er in diesem Sinne bei der Justizpolitik der Linken ebenfalls mitmachen?

Ludwig: Wir sind immer offen für neue Mitstreiter. Aber gerade in der Justizpolitik kann man sich eigentlich nicht beschweren, dass sich nichts ändern würde. Wir haben als Linke vor, diesem Land durchaus eine linke Handschrift zuteilwerden zu lassen. Und so wollen wir auch in der Rechts- und Justizpolitik einige Veränderungen durchsetzen. Wir haben in diesem Jahr mit Vorschlägen auf der Justizministerkonferenz auch Mehrheiten errungen.

TP: Eine leichte Arbeit scheint das nicht zu sein. Auf einer Strafvollzugskonferenz im Potsdamer Landtag im Mai, über die wir berichtet haben, sagten Sie selbst, linke Justizpolitik sei das Bohren dicker Bretter. Sind es nicht eher dicke und harte Bohlen?

Ludwig: In mehrerer Hinsicht stößt man da auf Widerstände – sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. Zum einen hat sich in der Zeit des Strafvollzugsgesetzes – das Strafvollzugsgesetz gilt ja seit 40 Jahren – natürlich auch bei vielen eine Routine eingestellt, nach dem Motto: Das haben wir immer so gemacht. Und da die Bereitschaft zu erzeugen , darüber nachzudenken, den Strafvollzug hin zu mehr Resozialisierungsarbeit zu verändern, das ist schon ein Stück Arbeit.

Zum zweiten wird dieses Thema doch eher im Verborgenen behandelt; denn wer kümmert sich schon um Strafvollzug. Den meisten ist wichtig, dass Straftätern eine gerechte Strafe zuteilwird, aber dann ist eigentlich auch schon das öffentliche Interesse vorbei. Aus unserer Sicht „leider“, weil genau das, was dann kommt, darüber entscheidet, ob der Straftäter nach Verbüßung der Strafe die Fähigkeiten für ein straffreies Leben hat oder nicht. Und eigentlich verdient genau das das öffentliche Interesse, weil der, der nicht rückfällig wird, die Gefahr vermindert, dass ich Opfer von Kriminalität werde.

Und zum dritten stehen wir vor der großen Herausforderung, hier auch für ein Stück Veränderung der Gesellschaft zu werben. Wenn wir zum Beispiel sagen: Vierzig Jahre nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes der Bundesrepublik soll der Teil erfüllt werden, dass Straftäter auch in die Rentenversicherung einbezogen werden. So erfüllen wir damit auch ein Versprechen, das schon sehr alt ist.

Die Linke streitet dafür, nicht Straftäter zu privilegieren, sondern alle in Deutschland, die arbeiten, gleich zu stellen, an gleichen sozialen Sicherungssystemen teilhaben zu lassen und nicht einzelne Personengruppen am Ende des Erwerbslebens den Kommunen in Altersarmut zu überlassen, die sich dann um die Alterssicherung zu kümmern haben.

TP: Wenn Gefangene zu lange im Knast sitzen, besteht da nicht nach der Entlassung die Gefahr, dass sie schon so hospitalisiert sind, dass sie außerhalb des Gefängnisses erst recht nicht mehr auf die Füße oder Beine kommen?

Ludwig: Da stehen wir vor der Auflösung mehrerer Widersprüche. Zum einen ist Strafvollzug überhaupt nicht geeignet für Resozialisierungsmaßnahmen, weil der Strafvollzug ein totales System ist. Das hat nichts mit Selbständigkeit zu tun und befähigt eher nicht zu einem selbstbestimmten straffreien Leben. Deshalb müssen wir quasi eine Ergänzung schaffen. Neben dem System Strafvollzug bieten wir Resozialisierungsmaßnahmen an – und zwar von Beginn an. Das ist unser neuer Ansatz. Deswegen wollen wir auch schnell die Erstellung eines Vollzugsplans und eine schnelle Diagnostik. Resozialisierung soll quasi wie selbstverständlich dazugehören. Auch deshalb bieten wir den Gefangenen Arbeitsmöglichkeiten in der Haft. Resozialisierungsangebote sollen dazu führen, dass man auch nach langjähriger Strafhaft den Strafvollzug verlässt und dann besser befähigt ist für ein normales Leben ohne Straftaten. .

Diesen neuen Ansatz im Vollzug zu leben, braucht Zeit. Aber es ist eben auch höchste Zeit sich diesen Veränderungen zu stellen. Wir sind deshalb sehr daran interessiert, diesen Weg endlich zu beschreiten, auch wenn wir wissen, dass grundlegende Veränderungen immer lange dauern.

TP: Ist es nicht besser, wie es der Leiter der sächsischen Vollzugsanstalt Zeithain, Thomas Galli, fordert, die Gefängnisse abzuschaffen, weil sie ohnehin nichts bringen und eine Schule der Kriminalität seien. Am Ende bleibe nur Vergeltung übrig, egal welche Resozialisierungsangebote im Gefängnis angeboten werden?

Ludwig: Das meinte ich mit der Auflösung gleich mehrerer Widersprüche. Galli hat mit seinem Befund Recht, dass der Strafvollzug als solcher nicht resozialisierend wirkt. Deswegen wollen wir aber eben gleichzeitig Resozialisierungsangebote machen.

Aber zur Wahrheit gehört auch: Es ist gesellschaftlicher Konsens, dass Straftäter eine Strafe zu verbüßen haben. Mir sind zurzeit keine Alternativen bekannt. Deswegen wollen wir den Weg gehen, bestehende Gefängnisse so zu gestalten, dass sie besser auf ein Leben danach vorbereiten. Ob sich letzten Endes die Idee von Galli durchsetzt, werden wir in einigen Jahren, denke ich, besser sehen.

TP: Wenn Thomas Galli Anstaltsleiter im Land Brandenburg wäre…

Ludwig: …würde ich mich freuen.

TP: Wären sogenannte elektronische Fußfesseln eine Alternative, Haft zu vermeiden, auch langjährige Haftstrafen nach Verbüßung einer gewissen Zeit (etwa nach zwei Dritteln der verbüßten Haftstrafe oder gar Halbstrafe – wer das vergeigte, wäre selber Schuld)? Sieht Galli übrigens als eine Alternative.

Ludwig: Die Justizministerkonferenz hat gerade auf meine Anregung hin eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Alternativen zumindest für die Ersatzfreiheitsstrafe prüfen soll. Schon zu diesem Vorhaben gehen die Meinungen in der Öffentlichkeit weit auseinander. Eine generelle Diskussion über Alternativen zur Haft allgemein, halte ich derzeit für nicht aussichtsreich. Die Diskussion zur elektronischen Fußfessel folgt leider bisher anderen Zielen, nicht der besseren Resozialisierung.

TP: Vor zwei Jahren wurde in der Tegeler Anstalt in Berlin von zwei Häftlingen die GG/BO (Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation) gegründet. Ihre Forderung: Mindestlohn für Häftlinge und die Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung. Ihre Mitgliedsanträge an Gefangene bundesweit wurden beschlagnahmt und ihre Werbetätigkeit in den Gefängnissen torpediert. Trotzdem haben sie zwischenzeitlich nach eigenen Angaben ca. 900 Mitglieder. Nach langem Rechtskampf wurde ihnen zum Beispiel vom Oberlandesgericht Hamm die Vereinigungsfreiheit nach dem Grundgesetz (Artikel 9 Absatz 1 und 3) zuerkannt und die Verteilung ihrer Flyer und Mitgliedsanträge nicht als Verstoß gegen Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt ausgelegt. Das Kammergericht in Berlin sprach ihnen dagegen die Bezeichnung „Gefangenengewerkschaft“ ab, weil im Gefängnis keine Arbeit im arbeitnehmerrechtlichen Sinne verrichtet würde, sondern Arbeitspflicht bestehe. Immerhin betonte das Kammergericht, die Vereinigungsfreiheit als solche nach dem Grundgesetz nicht tangiert zu sehen. Stellt es denn nun nicht eine Wortspielerei, eine Rabulistik dar, wenn Gefangene für Verbesserungen im Strafvollzug eintreten, sie am Namen ihrer Organisation festgelegt werden? Hätte demnach eine andere Bezeichnung, etwa „Interessengemeinschaft“ für höhere Löhne und Einbeziehung in die Rentenversicherung, zu einer anderen gerichtlichen Entscheidung führen müssen?

Ludwig: Ich halte die Frage, ob „Gewerkschaft“ oder nicht für das kleinere Problem. An dem Streit äußert sich für mich ein zentrales Problem, nämlich gilt gleicher Lohn für gleiche Arbeit für alle in diesem Land, oder wie viele Gruppen von Menschen, die arbeiten, die aber weit abfallend vergütet werden, will dieses Land für sich akzeptieren? Deshalb gehe ich in strenger Auslegung des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ davon aus, dass das auch für den Strafvollzug gilt.

Wenn wir als Gesellschaft aus guten Gründen den dort Arbeitenden die Freiheit entziehen, dann haben wir letztlich die Möglichkeit ihnen aus den gleichen guten Gründen für den erzielten Lohn die Kosten des Strafvollzugs in Abzug zu bringen. Aber das Konstrukt, sie sind zur Arbeit verpflichtet und erhalten dann als Straftäter nicht den gleichen Lohn für gleiche Arbeit, halte ich langfristig nicht für möglich und auch nicht für notwendig. In der Anstalt erhalten zum Beispiel ja auch die Insassen, die außerhalb der Anstalt arbeiten, Zugang zu einem von Gewerkschaften ausgehandelten Lohn und zu einem Rentensystem. Wenn wir uns als Gesellschaft einig sind, dass wir aus guten Gründen Freiheit entziehen müssen, dann sollten wir uns auch einig sein, dass alle, die arbeiten den gleichen Anspruch auf Vergütung und gewerkschaftliche Vertretung haben. Jemand in Haft muss sich aber aufrechnen lassen, dass er selbst Schuld am Freiheitsentzug trägt und sich deswegen auch an den Kosten zu beteiligen hat.

Ich halte das langfristig für die tragfähigere Variante. Gegenwärtig doktern wir an den Symptomen herum. Wir lösen Einzelfragen, wie sich jetzt die Justizministerinnen und –minister-Konferenz aufgemacht hat, die seit 1976 aufgerufene Rentenfrage einer Beantwortung zuzuführen im Sinne der Aufnahme von Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung. Aber an einigen anderen Punkten sind wir noch nicht so weit. Das mag auch daran liegen, dass eben dieses Thema bei den zentralen gesellschaftlichen Debatten immer noch ein Randthema ist. Wenn wir über gleichen Lohn für gleiche Arbeit reden, ist Arbeit im Strafvollzug in der Regel nicht Teil der Diskussion.

TP: Im Land Brandenburg ist die Arbeitspflicht in den Gefängnissen nun abgeschafft worden. Wie werden die Gefangenen hier entlohnt, die freiwillig arbeiten?

Ludwig: Genau mit der Zweiteilung, die ich eben als nicht tragfähig bezeichnet habe, wird hier entlohnt. Diejenigen, die außerhalb arbeiten – die Freigänger -, haben Zugang zu Tariflöhnen und zu den sozialen Sicherungssystemen, diejenigen, die drinnen arbeiten, haben das nicht.

TP: Warum sollen die, die drinnen arbeiten, nicht auch gleich entlohnt werden?

Ludwig: Das beklage ich ja, dass es so ist. Grundsätzlich gilt im Brandenburger Strafvollzug, dass Resozialisierungsangebote Vorrang vor Arbeit haben. Deswegen ist auch von Beginn des Vollzuges an auf eine zügige Diagnostik und eine zügige Erstellung des Vollzugsplan zu achten, damit eben diese Angebote von Anfang an gemacht werden können und Arbeitsangeboten auch voraus gehen. Diejenigen, die in der Anstalt arbeiten, werden nach dem im deutschen Strafvollzug üblichen System vergütet. Das heißt, sie haben die Möglichkeit etwas Taschengeld zu verdienen, aber sie haben keinen Zugang zu Tariflöhnen.

TP: Wie lange dauert eine solche Eingangsdiagnostik bis zum fertigen Vollzugsplan?

Ludwig: Das ist nicht in ein paar Tagen zu bewerkstelligen.

TP: Gibt es bis zum fertigen Vollzugsplan wenigstens Beschäftigungsangebote, damit die Leute etwas verdienen können?

Ludwig: Als diese Koalition die Arbeit aufnahm und die Linke das Justizministerium übernahm, stellten wir fest, dass es vom Haftantritt bis zu einem gültigen Vollzugsplan bis zu einem Jahr und länger dauerte. Damit ist das erste Jahr schon für Resozialisierungsmaßnahmen verschenkt worden. Wir haben Schritte zur Beschleunigung eingeleitet.

TP: Und für Beiträge zur Rentenversicherung, wenn die Möglichkeit der Einbeziehung schon umgesetzt wäre?

Ludwig: Das sowieso. Rentenversicherungsbeiträge aus einer Arbeit zahlen zurzeit nur Freigänger ein. Derjenige, der im Strafvollzug arbeitet, zahlt nicht ein.

Schon deshalb ist es geboten, Diagnostik und die Erstellung des Vollzugsplans in weniger als einem Jahr zu organisieren. Im Moment können wir das absichern, aber wir wollen noch schneller werden.

Aber zurück zum Thema Arbeit. Arbeitsangebote sollen dem Häftling natürlich gemacht werden, aber eben auch so, dass auch die anderen Resozialisierungsangebote in Anspruch genommen werden können.

Und noch etwas: Es gibt auch Strafgefangene, die gar nicht arbeiten aus ganz unterschiedlichen Gründen. Wir haben keine Vollbeschäftigung im Brandenburger Strafvollzug. Wir haben aber übrigens nach Abschaffung der Arbeitspflicht nicht weniger Beschäftigungsumfang. Es liegt also nicht an der Arbeitspflicht, ob Strafgefangene einer Arbeit nachgehen wollen oder nicht.

TP: Die Gefangenen wollen ja auch nicht Trübsal blasen.

Ludwig: Ja, für einige ist es eine sehr interessante Abwechslung, für andere ist es die erste tagesstrukturierende Maßnahme seit Jahren, die sie erfahren. Andere schätzen die Kommunikation im Kollegenkreis, Dinge, die uns ja draußen nicht fremd sind. Und wieder andere erwerben Fähigkeiten, die sie im späteren Leben für ihr eigenes Fortkommen auch nutzen wollen und nutzen können.

TP: Auf der Justizministerinnen und –minister-Konferenz Anfang Juni in Nauen, bei der Brandenburg seit dem Jahre 2000 wieder den Vorsitz führte, war auch die Opfereinbeziehung in den Gefängnissen ein Thema. Die Opferorganisation netzwerkB vertritt die Position, sie wollen raus aus dem Opfer-Täter-Opfer-Täter-Kreislauf. Was wird in Brandenburg dafür getan, dass es zu einer Versöhnung zwischen Tätern und Opfern kommt? Weiter lesen…